Auernheimer, Raoul: Brief an Jenny Auernheimer. o.O., 20.8.1915
nervös, was sich begreifen läßt. Ich werde ihr Dein
Billet beim nächsten Zusammentreffen, also
wohl noch vor Abend, übergeben.
Was mich betrifft, so fühle ich mich wohl u.
beruhigt inmitten der schönen Landschaft. Ich
arbeite verhältnismäßig wenig, das heißt, ich
schreibe nicht viel, aber ich lese dafür etwas
mehr, darunter Wassermanns neuen, sehr
dickleibigen, eigenartig schönen Roman "Das
Gänsemännchen" u., was weniger ver-
gnüglich ist, die Correkturbogen meines
neuen Stückes: "Die verbündeten Mächte",
das bei Fischer erscheinen wird u. bereits
gedruckt wird. Es ist mittlerweile noch beim
"Neuen Theater" in Frankfurt a. M. so gut wie
angenommen, die "Glücklichste Zeit" am Hof-
theater in Kassel u. das "Paar n. d. Mode"
in Hamburg. Immerhin ein paar An-
nahmen, die einem beweisen, daß man
noch auf der Welt ist, was man bei
allem Selbstvertrauen von Zeit zu Zeit bewie-
sen zu sehen wünscht.
Die großartigen deutschen Erfolge, von denen
man Tag für Tag in den Zeitungen liest, brin-
gen uns meiner immer festeren Überzeugung
nach einen baldigen Frieden. Lies darüber
den Artikel im gestrigen (Donnerstag) Morgen-
blatt: "Centralmächte u. Randmächte" von Vin-
dobonensis |: Backhausen :| u. mache auch
Otto darauf aufmerksam. Nach dem ufer-
losen, unfruchtbaren Leitariklergeschwätz tut
es unendlich wohl, wieder einmal die Stim-
me eines Mannes zu hören, der eine poli-
tische Anschauung u. auch politisches Urteil hat. Ich unterschreibe
jedes Wort seiner Ausführungen, die Dich auch
gedanklich interessieren werden. - Adieu für heute, ich küsse Dich
innigst. Dein
Raoul
Die ganze Familie grüßt.