Auernheimer, Jenny: Brief an Raoul Auernheimer. o.O., 13.4.1926
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Lieber Raoul! Ein Anlaß, der nie wieder
kommen wird. Der nur einer vom Glück
gezeichneten Mutter u Greisin beschieden.
Dem edelsten, treuesten Sohn, dem hochbegabten,
gratuliren zu dürfen zum fünfzigsten
Geburtstag. Was dieser Wendepunkt Dir bedeutet,
kann ich ermessen; darüber reden? Ich könnte es
kaum. Es bleibt nur Alltag übrig, um an-
näherungsweise einzugehen. Und nichts als
in bürgerlicher Art zu danken für das, was
Du mir bist, warst u bleiben wirst.
Ich greife zurück; fünfzig Jahre versinken
z Erinnerung. Nach banger Nacht; in zarter
Dämmerung eines Frühlingsmorgens
erblicktest Du das Licht der Welt. Tränenüber-
strömt, neigte sich Papa über mich; die in glücklicher
Schwäche aufhorchend seine Worte hörte: ein Sohn,
wir haben einen Sohn. Und, was wir damals
vor vielen Jahren im Vollgefühl als Verheißung
ahnungsvoll begrüßten, ist wahr u
wirklich geworden. Dieser gottbegnadete
erstgeborene Sohn war u blieb: Glück.