Berg, Alban: Brief an Anton von Webern. Trahütten, 28.7.1922
ALBAN BERG p. A. NAHOWSKI
TRAHÜTTEN IN STEIERMARK
POST: DEUTSCH-LANDSBERG
A./D. GRAZ-KÖFLACHER-BAHN
28/7 22. Nun sind wir doch hier! Ich
schrieb es eben an Schönberg, wie=
so das kam u. so plötzlich kam.
Meine Frau verschiebt (wieder einmal) eine für nothwendig
befundene Kur. U zw. auf den Herbst. Durch alle diese Ereignisse
kam ich in den letzten Tagen (ja Wochen) nicht dazu, Deine so
lieben und mich in jeder Hinsicht erquickenden Briefe (der
eine noch von Mödling, der andere von Traunkirchen) zu beantworten.
Ich bin glücklich, daß Du dort bist. Und daß Du dort gleich
ins Komponieren hinein sprangst u. voller Pläne bist, ist
mir direkt eine große, große Erleichterung nach jahrelanger
Bedrücktheit: Überhaupt hat für mich der Gedanke, daß dort in
diesem herrlichsten Erden=Winkel tagaus u. tagein von Dir u.
Schönberg Notenblätter beschrieben werden, geradezu etwas Festliches. Und
tröstet mich zugleich, daß ich heuer nicht so leicht dazu kommen
werde, selbst etwas zu schreiben (der Wozzeck-Auszug, der
seit 2 Tagen in Stich ist, wird mir noch viele Wochen Arbeit
machen!) Freilich: Den Gedanken, daß ich als Dritter im
Bund auch dort sitzen u. komponieren könnte, darf
ich mir nicht durch den Kopf gehn lassen! Mehr als je spüre
ich jetzt wieder die Zusammengehörigkeit von gerade nur uns
Dreien - trotz der selbstverständlichen Distanz! Aber so vehement, wie
ich diese unsere Abgesondertheit von aller anderer Musik, die
heute gemacht wird, zu fühlen bekommen habe, ist es mir schon lange nicht
passiert, als in dem Moment als ich die Beilage
des letzten Melosheftes zu Gesicht bekam,