Börner, Wilhelm: Brief an Karl Vlach. Wien, 17.2.1928
ETHISCHE GEMEINDE
WIEN, III., HENSLERSTRASSE 3.
Kanzleistunden: Dienstag und Freitag von ½5-½7 Uhr.
Sprechstunde des Leiters:
III., Obere Viaduktgasse 32,
Samstag von 3-5 Uhr.
Wien, 17. Februar 1928.
Werter Herr Wlach!
Verzeihen Sie freundlichst, dass ich erst heute Ihren gütigen
Brief beantworte, aber ich bin bei bestem Willen nicht früher dazu-
gekommen.
Es macht mich immer sehr glücklich, wenn ich höre, dass die
Sonntagsfeiern der Ethischen Gemeinde die Zuhörer befriedigen und
anregend auf sie wirken. Ihr lieber Brief ist mir ein Beweis dieser
anregenden Wirkung. Was die erste Frage, die Ihren Freund betrifft,
anlangt, möchte ich folgendes sagen. Der Hass von Mensch zu Mensch
scheint mir unter keinen Umständen ethisch gerechtfertigt. Gerade
der Sozialismus lehrt uns doch, jeden Menschen aus seinen gesell-
schaftlichen Bedingungen heraus zu verstehen und wenn wir uns bemü-
hen, dieses Verständnis zu gewinnen, so werden wir einsehen, dass er
mit all seinen hässlichen und gemeinen Eigenschaften ein Produkt
seines Milieus, seiner Klasse, seiner Erziehung, seiner wirtschaft-
lichen Lage ist und das wird uns befähigen, jeden Hass zu überwin-
den. Ganz anders verhält es sich natürlich gegenüber einem verwerf-