Federn, Karl: Brief an Andreas Thom. Kopenhagen, 4.10.1933
KARL FEDERN
KOPENHAGEN V.
AABOULEVARD 3. III.H.
den 4. Oktober 1933
Lieber Herr Thom:
Ich habe Ihr Buch natürlich längst ausgelesen, und den Brief, den
ich heute schreibe, im Kopfe geschrieben, aber ich hatte in diesen
Wochen besonders viel zu tun , ich musste/ die Uebersetzung eines
älteren Buchs von mir, die sofort in Druck gehen soll, aufs eilig-
ste durchsehen und sass täglich 8 bis 10 Stunden daran.
Sie wissen, ich habe im Aesthetischen Problem gesagt, dass die Form
alles ist, womit ich natürlich die Formung meinte, die Gestaltung
des Stoffs; der Stoff aber kann nur das lebendige Leben sein.
Und das haben Sie in ganz besonderer Weise getan. Man hat heute wahr-
haftig eigenes schweres genug ; und da ich soviel gelesen habe und
immer dabei auf die Form achte, könnte ich abgestumpft sein; aber
Sie haben das Lebensleid armer Menschen derart geschildert, dass
es mich aufs tiefste ergriffen hat. Es ist gar nichts gemachtes,
gar nichts papierenes in Ihrem Buch, es ist alles wirklich ge-
schaut und geformt.
Also vielen Dank nochmals und viele Grüsse, auch an Ihre Frau Gemahlin,
Ihr
Federn
Die Adresse entnehme ich dem Kürschner .