Cleve, Henriette: Brief an Karl Kraus. Mainz, 6.5.1929
6. V. 29.
Lieber, verehrter Herr Kraus,
eben ruft mich D. Sackheim an
und sagt mir, daß er im Begriff ist
an den Verlag der Fackel zu telegraphieren, um
sich um das Aufführungsrecht der "Unüberwindlichen"
zu bewerben. Ich freue mich sehr darüber.
Wenn ich Sie nur bald wiedersehen könnte!
Durch meine Kuli-Arbeit, die mich 9-10
Stunden im Tag in Anspruch nimmt und
die mich körperlich und geistig vollständig
erledigt, verliere ich allmählich den Kontakt
zu allem, was mir wichtig und lebenswert
erscheint. Und da ich keinen Ausweg sehe ,
also gar nicht weiß ob und wann es einmal
anders werden kann, sieht es mit mir ziemlich
schlimm aus. Es müßte mir endlich glücken
eine richtige Arbeit zu finden - ich kann ja
wirklich etwas leisten! Aber wo und wie ?
Für Ihr Telegramm tausend Dank! Nicht
einmal bei der 500. Vorlesung konnte ich sein -
wie lange habe ich Sie nicht lesen gehört!
Mit unendlich vielen innigen Grüßen
Ihre
Cleve
Feldbergpl. 3 ptr.