Friedell, Egon: Billett an Adalbert Franz Seligmann. Wien, 24.3.1921
Lieber und verehrter Herr A.F.S., die Verzögerung dürfte Schuld des Verlags
sein; es kann sich aber nur noch um Tage handeln. Vor allem: vielen Dank
für Ihre ebenso liebenswürdige wie postwendende Beantwortung meines
Briefes! Es handelt sich nicht um das Theaterfeuilleton, d. ja erst nach
der Premiere im Burgtheater fällig ist und nach unverrückbaren ehernen Gesetzen
an Wittmann oder Auernheimer geraten wird, sondern um ein herrliches
Feuilleton aus der mit Recht so verehrten Feder von A.F.S. über das
Buch. Ich kann mir nur (nach meinen redaktionellen Erfahrungen, die sich allerdings
nicht auf die "N. Fr. Pr." beziehen) nicht denken, daß die Leitung des
führenden Wiener Blattes so selbstmörderisch sein sollte, Ihren
jahrelangen Mitarbeiter an einem ihn interessierenden Beitrag zu verhindern. (Ihren
besten Mitarbeitern sage ich absichtlich nicht, da dies wie eine captatio
benevolentiae aussähe; aber in diesem Fall ist es doch wirklich nicht
so, sondern umgekehrt: denn erst war Ihre benevolentia da, und
jetzt komme ich erst mit der captatio hinterher!)
Auf jeden Fall nochmals vielen Dank für Ihr freundliches Interesse
und hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder!
In alter Verehrung
Ihr
Egon Friedell.
[Bleistift, andere Hand:] (betrifft die Judas-Tragödie von E. Friedell