Groller, Balduin: Brief an Stefan Milow. Wien, 26.2.1915
REDAKTION
DES
NEUEN WIENER JOURNAL
TELEPHON 16943
WIEN, I.. 26.2.1915.
BIBERSTRASSE 5
STUBENRING.
Hochgeehrter Herr!
Gestatten Sie, daß auch der ergebenst Unter-
zeichnete sich der langen Reihe der Glückwünschenden
anschließe. Dankbar ist er dessen eingedenk, daß
Stephan Milow ihm ein Stück Lebensinhalt ward.
St. M. war der erste vaterländische Lyriker, der ihn
mit heller jugendlicher Begeisterung erfüllte. Er durfte
im Jahre 1867 oder 68 dem Dichter die Grüße seines
vormaligen Erziehers, des St. M. kongenialen Poeten
Albert Moeser überbringen, bei welchem Anlaß er auch
die Ehre hatte im Hause Milow Ferdinand v. Saar kennen
zu lernen. Er durfte dann auch als Gast mit St. M. u.
dessen mit allen Gaben der Güte, Anmuth u. Schön-
heit begnadeten Gattin bei Tische sitzen u. dabei sich
auch über das prachtvolle kleine Söhnchen verwundern,
das bei Tische nichts von der aufgetragenen herrlichen
Torte verlangte, weil ihm in pädagogischer Weis-
heit noch nicht verrathen worden war, daß es auch
Süßigkeiten im Leben gäbe, wie er ja auch noch nichts
von des Lebens Bitternissen erfahren hatte. Ihm hat
weiters St. M. die Gunst erwiesen, daß er seiner im
Jahre 1873 begründeten "Wiener Zeitschrift" durch ein
Novellenjuwel Glanz verlieh. Ich schließe, wie Lenau
seine Albigenser schloß: "Und so weiter, u.s.w.!"
In dankbarer Verehrung des edlen Jubelpaares
tief ergebener
Balduin Groller.