Meder, Joseph: Brief an Adalbert Franz Seligmann. Wien, 12.12.1927
Wien d. 12./12 1927
Lieber Herr Professor!
Sie haben schon so oft u bei verschiedenen Gelegenheiten
mir Beweise Ihres Wohlwollens in einem solchen Grade
gegeben, daß ich immer wieder nachdenken muß,
wie u. wo ich dies erworben hätte, ohne jemals auf
den Grund zu kommen. Sie hätten mich ebensogut
durchbeuteln können, denn „Menschen sammer
alle, Fehler hat a jeder gnua...”, aber Sie, lieber
Professor, fassen mich von der sympathischen Seite
u lassen sogar das Seufzerbuch von der Scholle, von
Ihrem Segen begleitet, weiterlaufen. Gütiger kann
man nicht mehr sein. Glauben Sie mir, daß ich
heute noch große Angst habe, nicht vor der öffentlichen
Kritik, sondern vor dem Buche selbst. Selbstbekenntnisse
schreiben u sie drucken lassen, ist wirklich eine böse
Sache. Mag der Inhalt noch so harmlos sein, daß jeder
Beichtvater lächeln müßte, man wird dennoch,
zumindest vor den Freunden u. Bekannten, rot
bis in die Schläfen, weil man sich gewissermaßen
ausgezogen auf den Markt stellt. Und dann
kommen so liebe Menschen wie z. B. Sie, die einen
mit milder Hand wieder bedecken, damit man