Batka, Johann Nepomuk: Brief an Max von Millenkovich-Morold. Bratislava, 24.4.1917
Separatabdruck aus der "Preßburger Zeitung" Nr. 85 vom 27. März 1914.
Ueber eine von Hebbel selbst weggelassene Stelle in seinen "Nibelungen".
Teile der "Nibelungen" Friedrich Hebbels
sind weder in unserem alten, noch im neuen Theater
zur Darstellung gekommen.
Im vorigen Jahre, der Jahrhundertfeier sei=
ner Geburt (18. März 1813) berichtete unsere Zei=
tung, daß Friedrich Hebbel im Vereine mit seiner
Gattin Christine Hebbel im Jahre 1851 und
1853 unsere Stadt aufgesucht hat. Die Hofschauspie=
lerin und damals erste Tragödin der Burg spielte
das erste Mal die "Judith" ihres Gatten, das zweite
Mal "Lady Macbeth".
Während des hiesigen Aufenthaltes im März
1851 ging Hebbel in die Schloßruine hinauf.
Der Dichter wurde von dem Innenraume, der ihn
an die Kolossal=Ruine des Kolosseums in Rom er=
innerte, so ergriffen, daß er darin die herrliche Bal=
lade von Uhland "das Glück von Edenhall" laut
rezitierte, der ungarischen Reichstage und der ver=
schollenen Königsgeschlechter gedachte. Kam ihm, der
ein Dezennium später "die Nibelungen" dichtete,
damals als er vom Schlosse aus auf die Schloß=
ruine von Hainburg hinübersah, das 22. Aben=
teuer des ihm so innig vertrauten "Nibelungenlie=
des" in den Sinn?
Dort heißt es von Etzel und Kriemhild
beim Empfang im Heunenland:
"In Heimburg der alten - verblieb man über
Nacht"
Lange durchstöberte ich die große, kritische Sä=
cularausgabe der Werke, Tagebücher und Briefe von
Friedrich Hebbel, herausgegeben von weiland
Prof. Rich. Maria Werner. Ich fand nichts im
Nibelungenmaterial, was an den Preßburger Fern=
blick erinnerte oder erinnern mochte.
Aber eine Szene fiel mir unter den beigebrach=
ten Materialien aus der Dichterwerkstatt auf, die
er selber in der gedruckten Ausgabe seiner Nibelun=
gen=Trilogie weggestrichen hat. Und sie ist uner=
läßlich zum Erfassen des inneren, sagenhaften
Aufbaues der Dichtung. Es bleibt unbegreiflich, daß
Hebbel ihre gänzliche Weglassung zugab und
durchführte. Das Verhältnis des Hebbel'schen
Siegfried zur Hebbel'schen Brunhild
(namentlich in der im Isenland spielenden,
sagenhaft umsponnenen ersten und zweiten
Szene des ersten Aktes von "Siegfried's Tod",
der Trilogie 2. Teil) wird über alles verständlich,
deutlich und klar.
In "Kriemhild's Rache" (der Trilogie 3. Teil)
folgte gemäß des unten angeschlossenen Manuskript=
Urtextes in der zweiten Szene des zweiten
Aktes das sagenhaft dramatische Gegengewicht für
Siegfried.
Hebbel hat diese Szene für die gedruckte
Ausgabe der "Nibelungen" umgedichtet und die
ganze herrliche Stelle von höchster, poetischer Kraft
dabei einfach gestrichen. J. B.
Die Stelle lautet, wie folgt:
Iring.
Mir wär's recht,
Ich seh' sie gar nicht gern! Ich habe Siegfried
Gekannt und mögte Dem die Hand nicht reichen,
Der ihn erschlagen hat.
Dietrich.
Nimm das nicht so!
Iring.
Ist's denn nicht wahr?
Dietrich.
Wie wahr es immer sei
Es steht damit ganz eigen.
Iring (hinter Hildebrand H.).
Sprich.
Dietrich.
Nicht gerne,
Denn Dinge gibt's die Jedem schädlich werden,
Der sie erzählt, und Jedem, der sie hört.
Doch sei's, nur fragt mich nicht, woher ich's weiß,
Und sagt's nicht weiter.
Rüdeger.
(Tritt mit Hildebrant, Iring und Thüring dicht an
ihm heran.)
Dessen sei gewiß.
Dietrich.
Wenn tausend Jahre abgelaufen sind,
Kommt jedes Mal ein Jahr und in dem Jahre
Ein Tag und in dem Tage eine Stunde
Und in der Stunde noch ein Augenblick:
Wer diesen trifft, der zeugt ein Riesenkind,
Und wär' er selbst ein Zwerg.
Rüdeger.
War das der Fall
Mit Siegfried?
Dietrich.
Kennst Du seinen Vater nicht?
Dann werden alle Tiere plötzlich schwach,
Der Leue schrumpft zum Bären ein, obgleich
Er die Gestalt behält, der Bär zum Wolf.
Und so herab, der Knabe aber saugt
Ihr bestes Mark und bricht schon in der Wiege
Das Eisen, wie der stärkste Mann das Holz.
Hildebrant.
Das sah ich selbst.
Dietrich.
Es ist, als ob die Welt,
In ihrem tiefsten Grunde aufgewühlt,
Die Form verändert. Das Vergangene
Ringt aus dem Grabe, und das Künftige
Drängt zur Geburt, das Gegenwärt'ge aber
Setzt sich zur Wehre.
Rüdeger.
Davon hört ich auch.
Man sagt, es gibt ein großes Sternen=Jahr,
Das, über alles menschliche Gedächtnis
Hinaus, in langer Pause wieder kehrt.
Dann sollen so, wie Tier und Pflanze jetzt,
Die Arten selbst vergeh'n und sich erneuern,
Ja, die Planeten ihren Stand vertauschen
Und Sonn' und Erde mit den Rollen wechseln
Und was nicht weichen will, verschrumpft.
Dietrich.
Das trifft.
Denn stören kann man's und ich glaube fest,
Man hat es jetzt gestört! - So wie der Knabe
Empfangen ist, wird ihm die Braut geweckt,
Mit der er Wunder=Kinder zeugen soll.
Das tun die toten Götter, diese dürfen
Ein Mägdlein, das denselben Augenblick
Verschied im Arm der Mutter, neu beleben
Und ihm vererben, was sie selbst besaßen,
Und solch ein Mägdlein, glaub' ich, war Brunhild.
(Hildebrant H.) Iring.
Paßt denn das Alter?
(Rüdeger H.) Dietrich.
Ja.
(Dietrich H.) Rüdeger.
Das Uebrige
Paßt ganz gewiß.
(Rüdeger H.) Dietrich.
Wenn diese Beiden sich
Vermählen, kommt ein anderes Geschlecht
Und droht der Menschheit mit dem Untergang.
Dann aber regt auch die sich, wie noch nie,
Und eine zweite Braut, mit jedem Reiz
Geschmückt, den je ein Weib besessen hat,
Tritt mit der ersten in den Kampf. Wenn sie
Den Sieg behält, so ist die Welt gerettet
Und rollt aufs Neue Tausend Jahre fort,
Doch sind die Drei dem Tode auch geweiht,
Und immer kleiner wird das ird'sche Maß.
Dietrich.
(Zu Iring).
Begreifst du jetzt? Ein Mord ist zwar ein Mord,
Doch däucht mir, spricht aus Hagens dunkler Tat
Ein Haß, den die Natur vertreten muß! -
Schweigt aber, schweigt! Der mir's erzählte, ist
Todt umgefallen, als er fertig war,
(Weh) Und wehe dem, der redet ohne Not.
Band:
XIII
371-375