Engensteiner, Johann: Brief an Sophie Lotheissen. Innsbruck, 22.10.1917
Innsbruck, 22 Oktober 1917
Verehrte, liebe Freundin!
Ich weiß seit langer Zeit kaum mehr, wo mir der Kopf steht, u. kann
erst heute ein Herzensbedürfnis befriedigen u. Ihren lieben Brief
vom 5. Oktober d. J. beantworten.
Seit Ihrem vorletzten Brief vom 23. Januar 1917 sind wohl die schwersten
Zeiten meines Lebens über mich dahin gegangen: Häusliches Unge-
mach, empfindliche Störungen meiner Gesundheit, Verschlimmung der körper-
lichen u. seelischen Zustände meiner Frau, Sorgen um die Zukunft. Ich
verschone Sie mit einer ausführlichen Schilderung meiner Erlebnisse in diesem
dunkeln Jahr u. teile Ihnen nur noch mit, daß am 22. September dieses
Jahres mein armer Sohn Sigmund im Irrenhause zu Hall plötzlich u.
unerwartet gestorben ist, infolge zu reichlichen Obstgenusses. Ich hatte
ihn am 6. Sept. besucht u. ihn damals noch ganz frisch u. gesund angetroffen,
u. war daher sehr überrascht, als mir am 23. Sept. früh die Nachricht seines
Todes zuging. Mein nächstes Bestreben war nun, zu verhindern, daß meine
nervenkranke Frau sogleich von dem Fall Wind bekam; es gelang mir
auch mein Vorhaben u. meine Frau erfuhr erst vor wenigen Tagen
den sie tief erschütternden Vorfall.
Ich danke Ihnen herzlich für die Schilderung Ihrer Verhältnisse, die ich