Berg, Alban: Brief an Anton von Webern. Wien, 24.9.1922
ALBAN BERG WIEN XIII/1
TRAUTTMANSDORFFGASSE 27
24.9.22 nachts. Mein Lieber! Ich
muß es Dir doch schriftlich sagen, daß ich Dich für den
größten Dirigenten halte. Nein, nicht nur „halte”, sondern
daß dies eine der wenigen Tatsachen ist, die ich weiß,
ohne daß ein Zweifel möglich ist. Mir ist nach dem
Konzert heut nachmittag wieder so gewesen
wie nach der III. Mahler. Ich ginge am liebsten
auf u. davon, um zu heulen; oder ich möchte
mit Dir allein sein, und Dir um den Hals
fallen ..... Wirklich Musik zu hören - mit dem
innern u. äußern Ohr zugleich, gehört seit Mahler
ja zu den seltensten Glücksfällen. Heute nach=
mittag war ein solcher. Ich danke Dir! -
Als ich Dir heut beim Abschied auf Deine Fra=
ge, „wann wir uns wieder sähen”, antwortete,
„bei den Proben”, meinte ich die Deines herr=
lichen Quartetts. Wirst Du nicht bald dazu
kommen? Noch in der Woche?! Ich werde bei allen
sein u. heute mit Kolisch sprechen, was Du mit
ihm diesbezügl. ausgemacht hast. Und Dich ev. verständigen.
Auf Wiedersehn, mein teurer Freund!
Dein Berg