Faistauer, Anton: Brief an Arthur Roessler. o.O., 7.5.1915
Schloß Kornberg, Post
Feldbach bei Graz
7. Mai 1915.
Lieber Herr Roeßler,
ich danke Ihnen für Ihren Besuch, den ich mit diesen
Zeilen hieraußen erwidere. Ich werde gegen 10 od 12ten
wieder in Wien sein.
Der Krieg wäre hier beinah zu vergessen, da die Natur
so unerhört eigene Geräusche u. Gesichte hat, daß die
profane Mechanik des Menschengetu" nicht dagegen auf-
kommt. Die Blümelein die zarten Gräslein u. die süßen
Baumblüten sind so sehr wirklich u. unaustilgbar
da u so mächtig da, daß das andere alles Mühe hat
im Mythos nebenbei vorhanden zu sein.
Wohl wirkt er, der Krieg, deshalb eine weit größere
Traurigkeit. Er wird als Sage empfangen u. ergreift
den Menschen u verwandelt ihn zu unsagbarer Klage.
Das Gesicht der kleinen Menschenseele gerät aus den
Fugen u das Feuer der Liebe loht durch das Salz des
Schmerzes zu bunter ingrimmiger Flamme auf.
Sie decken sich dann mit den alltäglichen Seufzern zu,
dieser bösen aschfarbnen Tünche der Öffentlichkeit.
Dieses Bild verwirrter Liebe beherrscht das
ganze Land. Es ist resignierte Panik.
Ich möchte es kaum mehr glauben, daß diese unerhörte Ver=
wüstung von einzelnen angerichtet werden konnte,
denn das Maaß konnte kaum aus einer menschlichen
Einheit für dieses Meer von Unglück sein. Die größte Schmach
scheint mir wohl in der menschlichen Anschauung dieses
Unheils zu liegen. Der niedrige Geist der öffentlichen Bericht=
erstattung der Summierung, Einteilung u. Resultierung.
Nur wieder die menschliche Handhabung der Geschichte dieses
Elends ist wieder Unmenschlichkeit.
Wer anders als mit Tränen an die Geschichte rührt
ist schon ein Unthier.
Wem dabei ein Bächlein vorüberrauscht kann es um
seine Fülle beneiden, die er nicht um diese Schrecken zu