Faistauer, Anton: Brief an Arthur Roessler. o.O., 21.4.1919
21.4.1919
Lieber Herr Roeßler,
ich habe Sie im Telegramm gebeten sich an Frau Dr Koller
Alleegasse 26 in der Angelegenheit der Ausstellung
zu wenden, nur fürchte ich, daß der Sonderbund dieser Tage
mit Arnot abgeschlossen hat.
Jedenfalls werden Sie dort alle erwünschte Aufklärung u die
nötigen Zusagen, für den Fall, daß wir noch nicht gebunden
sind erhalten.
Ich kann u. möchte auch nicht gerne nach Wien kommen.
Nicht, daß ich mich heraußen ganz besonders wohl fühlte,
vielmehr ist es der Wunsch von Wien loszukommen.
Mein letzter Aufenthalt in W. hat mir recht deutlich die
Verworrenheit des künstlerischen Wien gezeigt u. ich glaube, daß
in einem bolschewikischen München leichter auszuhalten wäre
als in dieser ganzlich korrumpierten schleimigen Metropole.
Auch für meine Arbeit sehe ich mir dort gar keine Möglich-
keit der Weiterung, weil ich nicht auf eine zugespitzt
geistreiche sondern auf eine tiefere Entwicklung losgehe.
Der Weg eines ernstlich modernen Künstlers läuft in Wien
auf sensationell sensitive, überkultivierte Geistigkeit
hinaus. Meine Anlage ist gar nicht darnach u. so sehr
ich fühle daß meine Malerei nach Entwicklung schreit
u drängt, so weiß ich recht gut daß das Milieu Wien
mir meine Entwicklung vorenthält.
Ich habe den Wienerplatz gerne, denn ich bin dort irgendwie
beheimatet u. er war nicht ungütig gegen mich.
So würde ich immer gerne eine Verbindung mit Wien be-
halten u. hoffe, daß mir meine Freunde Treue behalten
werden, wie ich es tun will.
Ich hoffe sehr, daß wir vom Bolschewismus verschont
bleiben u besonders Sie in Wien die Sozialisierung ohne
Blutvergießen u Gewaltherschaft durchführen werden.
Ich fürchte ja sehr, daß der Revolutionsjahre mehr werden
werden als der Kriegsjahre. Der Kampf zwischen
Kapitalismus im Verein mit dem Sozialismus
gegen den Komunismus u. die Verzweiflung der Armen