Felner, Karl von: Brief an Arthur Roessler. Berlin, 15.8.1917
Berlin, den 15.August 1917.
Lieber alter Freund,
von Dir kommt stets alles in
Form von Überraschungen, und die habe ich sehr gerne. Fel-
ders Buch über Dich werde ich erst lesen; ich bestätige
Dir nur, dass ichs bekommen habe, - was heute nicht immer
passiert. Darum sage ich Dir auch heute auch über das Buch
noch nichts, sondern bloß wie es auf mich wirkt: die Tatsa-
che meine ich, dass ein Buch über Dich geschrieben wurde.
Natürlich freuts mich in demselben Maße wie Dich so etwas
freut (oder gibt es auch in Deinem Innersten eine Saite,die
einen Misston erzeugt, wenn einem so was passiert?) In mir
gibts eine Menge solcher Saiten, - nur sind sie noch nicht
ertönt ; bloß wenn einer einmal zufällig irgend kein unschö-
nes Wort über mich sagt, - so würgt es mich! Warum? Das
weiß ich nicht. Zum Glück würgts mich selten, denn ich höre
selten ein paar Worte derart, von einem Buch schon ganz zu
schweigen! Ich vereinsame immer mehr. Du bist drei Jahre jün-
ger als ich, und hast schon ein gut Teil der Lebensernte
eingebracht. Ich habe etlich Keime ausgesät, und kein ein-
ziger ist noch aufgegangen. Niemand sieht sie, jeder geht
achtlos drüber weg, ich rufe, niemand hört es. Woran liegt
das? Dass ich ans Theater appelliere? Nein! Es dauert länger
auf dem Wege, aber er hat auch ein Ende, früher oder später;
und es ist mir darüber, dass das Ende noch immer nicht da ist,
so spät geworden, dass ich das Gefühl habe, als sei es schon
zu spät; als sei ich in einem Punkte alt geworden, ohne jung
gewesen zu sein. Was ist das bloß?! Bin ich einer, der laut
zu reden vermeint und bloß in sich hört, was er draußen tönen
glaubt? Denn niemand sonst hört ihn ja? Glaube ich so anders
zu sein, als die anderen, und scheine nur in meinem Haus-
spiegel so, weil der nicht gerade zeigt? Und ist das soge-
nannte "Pech", das ich überall habe, nichts weiter als ein
selbsttäuschender Euphemismus für Unlebensfähigkeit dessen,
was aus mir kommt? Und die Erzeugnisse meines Lebens, die
um mich herumstehen, wirken auf mich, wie Steine ohne Leben;
ich habe keine Freude an ihnen von dem Augenblicke an, wo
ich sie als fertig beiseite stelle. Bis dahin hatte ich so etwas
wie Freude an ihnen, - oder ist auch das eine Gefühlsverken-
nung? Ist es nicht irgend ein Narkotikum meines Willens, das
mich in ein freudenähnliches Schlafen taucht? Ich weiß nichts
von mir, gar nichts. Ich erkenne mich nur an den Wirkungen,
und die sind - Stummheit, Stummheit zum Verzweifeln um mich
herum! Habe ich zum Talent zu viel, zu mehr zu wenig? Sind
alle die Formen, die in aller Reinheit ich hervorzubringen mich
bemühe, bloße Nebelgebilde?... Ich bin so furchtbar müde, dass
ich darüber nicht nachdenken kann und will. Kannst Du mir
irgend ein Wort sagen, an das ich mich klammern kann, um
zur Klarheit meiner Wirklichkeit zu kommen? Ich weiß keins! -