Gomperz, Heinrich: Brief an Elise Richter. Wien, 12.8.1915
DR.H.GOMPERZ
WIEN.XII.GRÜNBERGSTRASSE25
Wien , den 12.8.1915.
Hochgeehrtes Fräulein !
Seit einiger Zeit arbeite ich in der Zensurabteilung des Roten Kreuzes,
speziell bei der Zensur der italienischen Gefangenenkorrespondenz.
Nun ist bei uns die beiliegende romanische Karte ein-
gagangen , der natürlich das ganze Amt ratlos gegenübersteht. Man kann
ja etwa ahnen , was darin steht, doch das reicht gerade nur aus,um zu
sehen , dass immerhin einige Bemerkungen militärischen und politischen
Inhalts darin vorkommen , die man genau verstehen müsste, um beurtei-
len zu können, ob sie durchgelassen werden können oder zusammengestri-
chen werden müssen. Ich habe nung gesagt , ich hoffte , dass meine aka-
demischen Verbindungen mich in den Stand setzen würden , eine Überset-
zung der Karte zu beschaffen. Tatsächlich kenne ich aber ausser Ihnen,
verehrtes Fräulein , niemand, von dem ich annehmen würde , dass er ro-
manisch kann oder , falls er es doch nicht könnte , wenigstens jemand
wüsste , der eine solche Übersetzung besorgen kann.
Würden Sie so liebenswürdig sein , mir auf die eine oder andere
Art eine Übersetzung der Karte zu besorgen und mir diese samt dem Ori-
ginal zuzusenden ? Da ich nicht im eigenen Namen , sondern in dem des
Roten Kreuzes , resp.der Absenderin und des Adressaten bitte, so wage
ich zu hoffen , dass Sie die Behelligung verzeihen und meine Bitte er-
füllen werden.
Mit bestem Dank im voraus und hochachtungsvollem Gruss
Ihr ganz ergebener
H. Gomperz