Wien am 30. April 1920.
Hochverehrter Herr Bürgermeister!
das so überaus freundliche und ehrenvolle Glückwunschschreiben zu meinem 60. Geburts=
tage hat mich innigst erfreut und gleichzeitig eine ganze Sturmflut wehmütig heiterer Er=
innerungen in mir entfesselt. Ich dachte der Zeit, da ich vor vierzig Jahren nach Wien in die
große, brausende Stadt als Fremder gekommen bin, bangen Herzens erwägend, wie es mir
da wohl ergehen werde. Und nun nach so langer Zeit, am beginnenden Lebensabend, wird
mir die ehrende Freude zuteil, daß mich der Bürgermeister dieser alterwürdigen Stadt in
solch anerkennenden Worten begrüßt, mir dadurch beweisend, daß der einstige Fremdling
sich reiche Liebe und Verehrung hier erworben hat, daß ihn die große Stadt mit Freuden
zu den Ihren zählt!
Nehmen Sie verehrter Herr Bürgermeister meinen heißesten, innigsten Dank für diese
ehrende Auszeichnung entgegen, sie ist mir die liebste und schönste Freude an diesem
an Freuden so überreichen Tage.
In ergebenster und dankerfüllter Hochachtung
Rudolf Hawel,
stadt. Lehrer und Schriftsteller
[in Bleistift:] 8302/20 registr.