Heimann, Moritz: Brief an Andreas Thom. o.O., 19.12.1916
S. Fischer, Verlag, Berlin-W., Bülowstrasse 90
19.Dezember 1916.
Verehrter Herr Thom,
Ihr sehr lieber Brief, indem er mir es leicht machen will,
macht es mir schwer. Welchen Grund kann ich dafür angeben, dass ich
Ihnen Ihre Gedichte zurüuckgeben muss, wenn ich doch sagen muss, dass
ich bei ihrem Lesen eine reine Hingabe verspüren durfte? Vielleicht
kann ich beides in ein Wort zusammenfassen: Ihre Lyrik hat es mir ange-
tan, Ihre Gedichte nicht. Es ist alles darin rein, schlicht, herzlich;
kein Gefühl ist entstellt durch Absicht, kein Wort ist über sein Ver-
mögen hinausgequält oder bleibt schwächlich darunter. Aber in dem Buch
spricht es nur. Es singt noch nicht und bildet noch nicht, mit wenigen
Ausnahmen. Der Reim in Ihren Gedichten ist Ihr stärkster Kritiker;
er hat ein prosaisches Sichbescheiden, eine Funktion, wie wir sie
in Makamen- oder sonstigen Parlandoformen finden; dieses aber in, der
Empfindung und Absicht nach, rein lyrischen Gebilden; und weil er nichts
Vollgültiges zu tun hat, spielt er mit sich selbst, so dass Sie ihn
öfters innerhalb des Wortes nehmen, ohne doch etwas Besonderes zu er-
reichen. Wenn ich mir erlauben darf, eine ins Persönliche gehende Ver-
mutung auszusprechen, so wäre es die, dass Sie Gedichte, "geflügelte
Juwelen", in sich tragen, dass Ihnen aber eine gewisse in der Zeit
liegende lyrische Anarchie hinderlich ist.
Bitte lassen Sie mich wieder von sich hören.
Mit hochachtungsvollem Gruss
Ihr ergebener
Moritz Heimann.