Heimann, Moritz: Brief an Käthe Prager-Braun. Berlin, 15.7.1915
S. Fischer, Verlag, Berlin W., Bülowstrasse 90
15. Juli 1915
Fräulein Käthe Braun
Wien VII
Breitegasse 17
Sehr geehrtes gnädiges Fräulein,
leider muss ich Ihnen Ihre beiden Dramen zurückgeben.
"Renate" hat eine sehr feine Problematik. Woran es fehlt, das ist die
Augenfälligkeit, Sichtbarlichkeit der Handlung, die auf den ersten
Blick eindringliche Verknotung. Um mich mit einem Beispiel deutlich
zu machen: Ibsens Rosmersholm wäre ohne die weissen Pferde und
ohne den alten Revenant, ohne den Rektor und ohne Mortensgaard
eine Spinneweberei. Das blosse Abrollen eines psychischen Motivs
ergibt kein Drama. "Der Krüppel" hat scheinbar diesen Fehler nicht;
es ist darin eine sichtbare unterschiedene Welt. Aber nun wieder
ist alles darin so gar zu prosaisch deutlich, und man sieht mit
dem ersten Blick schon zu viel. Die Ueberraschung, dass auch der
Anton nachher zum Krüppel wird, ist ohne Feinheit. Es kommt hinzu,
dass ihnen etwas wirklich Volkstümliches in den Gestalten doch
nicht gelungen ist.
Obgleich in den Arbeiten Qualität+ ist, glaube ich nicht, dass
wir bei den jetzigen Theaterverhältnissen etwas dafür tun können,
und so schicke ich sie Ihnen mit bestem Dank zurück.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Moritz Heimann.
+Genug, um Sie zu bitten, uns
weitere Arbeiten vorzulegen.