Jahoda, Georg: Brief an Karl Kraus. Wien, 28.4.1924
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GEORG JAHODA
WIEN, 28. April 1924
III. HINTERE ZOLLAMTSSTR. 3
TELEPHON 187
Hochgeehrter Herr Kraus!
Mit der herzlichsten Gratulation zu Ihrem 50. Geburtstage
verbinde ich den innigen Wunsch, Sie mögen noch viele Jahre,
und nur solche des Glücks, erleben und stets genügend Kraft
haben, die leider unvermeidlichen Mißfelligkeiten des
Lebens leicht zu überwinden. Die Geburtstagsgabe, die ich
Sie bitte entgegenzunehmen, konnte leider nicht rechtzeitig fertig
werden. Ich werde mir erlauben sie Ihnen in ca. 8 Tagen zu
überreichen.
Bei dieser Gelegenheit sei es mir gestattet auch zur Voll=
endung des 25. Jahrgangs der Fackel meiner wahrhaft auf=
richtigen Bewunderung Ausdruck zu geben. 648 kostbare Perlen,
gefaßt auf Ihren Sternenkränzen.- Eine magische Kette
mit der zwiefachen Kraft, Ihre Schätzer mit unwiderstehlicher
Gewalt an Sie zu ziehn und gleichzeitig Ihre Widersacher
bis zur Ohnmacht zu fesseln. Außer Ihnen selbst, ist wohl kaum
jemand so wie ich imstande, die ungeheure Arbeit, die Sie in
diesen 25 Jahren geleistet haben zu erkennen und darum kann
ich mit Fug und Recht Ihnen vom Schicksal die Kraft erbitten,
die Kette noch unendlich verlängern zu können. Daß ich Ihnen
dabei Handlangerdienste leisten kann ist mir Ehre und Glück.
Ich bitte Sie die Wünsche als auch von meiner Frau und
meinen Kindern innigst gehegte hinzunehmen.
In unwandelbarer Ergebenheit
Georg Jahoda