Bartsch, Rudolf Hans: Brief an Unbekannt. Seewalchen am Attersee, 17.7.1914
RUDOLF HANS BARTSCH
Seewalchen , Oberöstreich ,
den 17. Juli 1914.
Hochgeehrter , lieber Herr Doktor !
Heute hätte ich Ihnen am liebsten zehn Seiten geschrieben :
all das , was ich öffentlich nicht sagen darf und wofür Sie soviel Ver=
ständnis hätten ! Alles , was mir seit dem Tode des Thronfolgers durch
den Kopf gegangen ist ; alle Verzweiflung an unserm Staate und meine
Wünsche nach dem endlichen Wiederzusammenschlusse des großen alten Deu=
tschen Reiches ! Ich freue mich schon unbändig auf Berlin und wäre glück=
lich , wenn Sie mich dort ein bisserl führen würden , da ich mich in
Nichts auskenne !
Aus der Heimat , auch der engern , kann ich Ihnen freilich
nicht viel Gutes erzählen : Sie glauben garnicht , wie einsam man in
Graz leben muss , um das Gefühl zu behalten , unter Menschen zu sein !
Wäre die Landschaft nicht meine eigentliche Heimat , ich wäre schon
längst in München -schon um des Gefühles willen , Staat und Volk end=
lich als eine Sache empfinden zu dürfen ! In Wien hab ich eine liebe ,
liebe kleine Wohnung , in der ich mich verkrieche , wenn in Graz trüb'
Wetter ist , und das ist mein ganzes Glück . Denn sonst bin ich unruhig
wie ein Wurm , der sich verpuppen soll ! Das Romanschreiben ekelt mich,
seit ich die prachtvolle Zucht und Selbstaufgabe des Dramatikers ken=
nen gelernt habe , und nun ist mir , als müsste ich mir eine ganz neue
Heimat in der Kunst schaffen ! Dazu hab ich saudumm gewirtschaftet und mit allen mei=
nen Erfolgen hab ichs zu nichts gebracht , als zu erdrückenden Schulden,
die ich früher nie hatte ! Das gefährliche Strecken nach der Decken ,
wenn die Decken länger wird ! So hängt nun alles am Erfolg dieses Dramas,