Kienzl, Wilhelm: Korrespondenzkarte an Lili Kienzl. Wien, 4.2.1919
Meine liebe Lili! Wien, 4. Februar 1919.
Heute schon den dritten Tag keine Nachricht von Dir! Denkst
Du denn gar nicht an mich? Du hast doch Zeit genug, an mich
zu schreiben. Ich bin fleissiger darin wie Du. Hoffentlich geht's
Dir gut! Heute erhielt ich von Marianne eine liebe Karte. Von
Helmut wissen sie noch nichts. Sie wenden sich nun an die Nuntiatur in Wien.
Marianne war wieder krank. Es fehlt ihnen an Heizmaterial.-
Nächste Woche ist hier wieder einmal „Kuhreigen” angesetzt. Sonntag
hatte ich meine 2. Kammermusik, die glänzend ausfiel! Es gingen
noch weitere 80 Kronen ein u. viele Hörer waren da, u. A. auch
Knall u. beide Straßgi's. Ich spielte zuerst die Phantasiestücke
für Clavier, Violine u. Violoncell Op. 88 von Schumann, dann sang
Frau Ulanowsky ganz wundervoll 6 Lieder von mir, u. zw. so, dass
Einige weinten u. auch ich ganz ergriffen war; sie hat einen fein ge-
schulten weichen Silber=Sopran: „Der unsichtbare Flöter”; „Lieber
Regen!” „Frühlings Ahnung”; „Solang du mich entb. kannst”, „Urlicht”
(das war eine wahre Offenbarung!) u. „Juninacht”. Zum Schluss spiel-