Kienzl, Wilhelm: Brief an Nina Kienzl. Bad Aussee, 16.7.1915
freilich aus Deinen Zeilen nicht ent-
nehmen. Warum bestätigst Du nie den
Empfang meiner Briefe? - Von Hermann
erhielt ich vorvorgestern eine sehr kurz
gehaltene Postkarte. Ein Brief von ihm
hätte mich - offen gestanden- schon mehr ge-
freut. Ich hatte ihn mir wohl erwartet.
Gestern ist Olga Gressl mit einer Freundin
für einige Zeit hier angekommen u. wohnt
beim „Wasner“, so dass das Haus ganz besetzt
ist. Sie brachte mir Grüße von Dir. Sieht
schlecht aus. Für Sonntag den 18ten hat uns
Marianne für einige Zeit ihre Ankunft
angezeigt. Auch der Kammersänger Steiner
hat mir seinen Besuch angezeigt; er will
mit mir meine Lieder durchgehen, da er im
Winter einen Kienzl=Abend in Wien geben will.
Sonst geht's uns gut. Was kam Dir bei, mir
in Deinem letzten Briefe mein „Boccaccio=
Leben“ vorzuhalten, in dem mich Deine auf-
wühlenden Nachrichten „stören“ könnten?! Hät-
test Du wenigstens diese vermeintliche Stö-
rung wohlwollend auf meine zur Vollendung
meiner Opernkomposition nötige Stimmung
bezogen, es wäre mir lieber gewesen!
Wo bringst Du Deinen Namenstag zu? In Liezen,
hier oder gar in Berlin? Ich möchte es ehestens
wissen. Warum schweigst Du überhaupt beharrlich
darüber, was Du im Sommer machst u. ob Du heuer nach
Berlin gehst? Verfüge nur über mich u. mein Eigen!
Es umarmt Dich innig Dein treuer Sohn Wilhelm