Kraus, Karl: Brief an Germaine Golbot. o.O., 24.7.1929
24/25. Juli
Sehr geehrtes Fräulein Goblot!
Den Dank für die Gesinnung, die Sie
mir zuwenden, schreibe ich auf Deutsch; Sie
haben zuerst bewiesen, dass Sie es kennen,
und nun auch, dass Sie können. Und wenn
Sie „viel Zeit brauchen, um einen deutschen
Brief zu schreiben“ - ein gutes Beispiel für
„Gut Ding braucht Weile“ - so würde ich
doch weit länger zu einem französischen
brauchen. Denn ich habe Ihre Sprache leider
so sehr verlernt, dass ich sie eben noch
lesen kann, aber nicht einmal zu sprechen
wage. Nun kommt noch dazu, dass ich
überhaupt nie Briefe schreibe ⁺, außer
solchen, die - durch das Medium des Verlags
der Fackel - der Öffentlichkeit gehören oder
doch gehören könnten. Ihnen aber bin ich
persönlichen Dank schuldig. Für die Zusen=
dung jenes Heftes habe ich ihn schon ab=
gestattet. Für den Inhalt zu danken, bin ich
als der Beurteilte nicht berechtigt, jedoch
verpflichtet als einer, der zuhause im
Feindesland lebt und vor solcher Teilnahme
aus naher Fremde berührt wird. Ich habe
Ihnen nicht für das zu danken, was Sie
⁺ Wie Sie sehen, besitze ich
auch kein Briefpapier