Kraus, Karl: Brief an Siegfried Jacobsohn. o.O., 29.1.1924
29. Jänner 4
Herrn Siegfried Jacobsohn
Charlottenburg
Königsweg 33
Sehr geehrter Herr !
Auf Ihre freundliche Mitteilung beehren wir uns im Auf=
trag des Herrn Karl Kraus das Folgende zu erwidern:
Wenn festgestellt ist, dass Herr Wilhelm Herzog behaup=
tet hat, dass Herr Karl Kraus zu ihm über die "Weltbühne" gesagt
habe: "Dieses Blatt ist ein Laden (?). Ich habe mit diesem Blatte
nichts zu schaffen", so ist diese Behauptung eine Unwahrheit.
Sie haben ganz recht, wenn Sie sagen, sie könne schon aus dem
Grunde nicht wahr sein, weil Herr Karl Kraus sonst längst - also
mindestens seit dem Tag jenes Ausspruchs - die Konsequenz gezogen
und Ihnen einen Abdruck aus "Wolkenkuckucksheim" nicht erlaubt,
sondern verboten hätte. Herr Karl Kraus hat weder diese noch eine
ähnliche Aeusserung, weder im Gespräch mit Herrn Herzog noch bei
irgendeiner anderen Gelegenheit getan. Ob die Behauptung, dass er
eine solche Aeusserung getan habe, etwa auf der Tatsache beruhen
könnte, dass er im Verlauf jenes Gespräches, in dem vielfachen
und erregten Hin und Her auch die Bemerkung gemacht hat, dass er
mit zahlreichen Beiträgen der "Weltbühne" keineswegs einverstanden
sei - gewiss nicht ohne die Ergänzung, dass Ihnen selbst diese
Aversion gründlich bekannt sei -, entzieht sich seiner Beurteilung.
Natürlich ermächtigt Sie Herr Karl Kraus von dieser Aussage den
Gebrauch zu machen, den Sie zu Ihrer Verteidigung für notwendig
halten, das heisst, wenn die Behauptung tatsächlich gegen Sie
geltend gemacht wird. Er meint aber, dass eine etwaige Absicht,
das Zeugnis zu einer Anklage zu benützen, das heisst, wenn Sie
es zur Charakterisierung der Wahrheitsliebe Ihres Gegners heran=
ziehen möchten, auf die erweisliche Tatsache gestützt sein müsste,
noch dem Sinn nach mit der Wahrheit übereinstimmt, verbreitet
hat. Herr Karl Kraus hätte umsomehr Grund und Recht, sich gegen
eine solche Unterstellung zu verwahren, als die Unterhaltung, in
welcher er den Ausspruch getan haben soll, von ihm keineswegs
herbeigeführt oder herbeigewünscht wurde.
In vorzüglicher Hochachtung