19. Juli
[Mit Bleistift von anderer Hand]: 19. VII. 1915
Mein lieber Herr v. Ficker!
Wie ist das entsetzlich, und wie gehört es doch zu all dem
Entsetzlichen. Nichts kann ich sagen, als - dass der Fall,
um den es sich hier handelt, einer jener wenigen ist,
die mich das beispiellose Unrecht, das sich noch die schlechteste
Welt zufügt und von der sich abzuwenden die letzte sittliche
Aufgabe ist, wieder als Tortur an mir selbst empfinden lassen.
Aber was hilft es dem, dem's noch schlechter geht? Vielleicht doch
ein wenig, indem ich es ihm sage und dazu die Hoffnung
lege, dass der, welcher es mitmacht, die Verwandlung schließlich
besser ertragen wird als einer, der so draußen steht wie ich!
Es ist sehr leicht möglich, dass ich Sie in etwa vierzehn Tagen
sehen werde. Bis dahin will ich einen Weg versuchen, nicht
zu einer böhmischen, sondern zu einer Tiroler Stelle. - Ich arbeite
jetzt - für das mir wichtigste Buch - das scheußliche Vorspiel
dieser Zeit durch. Ich lese unter Herzkrämpfen, wie vierschrötige
Lumpen damals gefangene Türken wegen deren Feigheit
verhöhnt haben. Dass solche Gesinnung, weil sie „schreiben kann“,
jetzt schockweise frei herumgeht, ist ein Eindruck, der eine
edlere Ausnahme wohl rechtfertigt.
Gelingt's nicht, so leben wir, getröstet und zuversichtlich, weiter
in dem Wissen, dass einem Inhalt kein Zustand etwas
anhaben kann. Nehmen Sie einen herzlichen Gruß von Ihrem
Karl Kraus
[Mit Bleistift von anderer Hand]: 19. VII. 1915
Mein lieber Herr v. Ficker!
Wie ist das entsetzlich, und wie gehört es doch zu all dem
Entsetzlichen. Nichts kann ich sagen, als - dass der Fall,
um den es sich hier handelt, einer jener wenigen ist,
die mich das beispiellose Unrecht, das sich noch die schlechteste
Welt zufügt und von der sich abzuwenden die letzte sittliche
Aufgabe ist, wieder als Tortur an mir selbst empfinden lassen.
Aber was hilft es dem, dem's noch schlechter geht? Vielleicht doch
ein wenig, indem ich es ihm sage und dazu die Hoffnung
lege, dass der, welcher es mitmacht, die Verwandlung schließlich
besser ertragen wird als einer, der so draußen steht wie ich!
Es ist sehr leicht möglich, dass ich Sie in etwa vierzehn Tagen
sehen werde. Bis dahin will ich einen Weg versuchen, nicht
zu einer böhmischen, sondern zu einer Tiroler Stelle. - Ich arbeite
jetzt - für das mir wichtigste Buch - das scheußliche Vorspiel
dieser Zeit durch. Ich lese unter Herzkrämpfen, wie vierschrötige
Lumpen damals gefangene Türken wegen deren Feigheit
verhöhnt haben. Dass solche Gesinnung, weil sie „schreiben kann“,
jetzt schockweise frei herumgeht, ist ein Eindruck, der eine
edlere Ausnahme wohl rechtfertigt.
Gelingt's nicht, so leben wir, getröstet und zuversichtlich, weiter
in dem Wissen, dass einem Inhalt kein Zustand etwas
anhaben kann. Nehmen Sie einen herzlichen Gruß von Ihrem
Karl Kraus