Kraus, Karl: Brief an Tomás G. Masaryk. Wien, 20.7.1927
Die Verwendung der Schreibmaschine
möge durch die Unleserlichkeit der
Handschrift entschuldigt sein.
[mit Bleistift:]
An Präsidenten
Prof. Dr. Thomas Masaryk
Wien, 20. Juli 1927
III. Hintere Zollamtsstraße 3
Hochverehrter Herr!
Nicht das Gedenken wiederholter Beweise Ihrer mir so
freundlichen Gesinnung, sondern das Bewußtsein, mich an die
höchste Instanz menschlicher Gerechtigkeit zu wenden, läßt es
vorstellbar erscheinen, daß dieser Ruf an Ihr Ohr gelange und daß
er erhört werde.
Nach Zeitungsmeldungen sollen Sacco und Vanzetti an einem
der ersten Augusttage hingerichtet werden.
Ein Wort von Ihnen an den Präsidenten der Vereinigten
Staaten - vielleicht haben Sie es schon ausgesprochen, ohne daß
man Sie darum zu bitten gewagt hat; und niemand in der heutigen
Welt wäre berufener, es auszusprechen - ein Wort von Ihnen wird
imstande sein, dieses Greuel abzuwenden und dem Gewissen der
Menschheit, deren Vertreter, sofern es noch eine gibt, Sie auch
als einer ihrer Machthaber geblieben sind, ein Übermaß von Scham
und Qual zu ersparen. Empfangen Sie mit Ihrem Dank
den Ausdruck verehrungsvoller Ergebenheit
von Karl Kraus