IV. Lothringerstr. 6 Th. 2
Wien, 22. Oktober 1925
Hochverehrter Herr Bürgermeister!
Ich habe in einem Vortrag am 25. Juni, der im Juli-Heft der Fackel
gedruckt erschienen ist, einen Appell an Sie gerichtet, Sie möchten "es
nicht unter Ihrer Würde finden", die Ortsgemeinschaft eines Gezeichneten
mit einem Zeichner zu beklagen, "dessen ‚gewaltige Geistesarbeit’ Sie mit
jedem Wiener zu kennen versichert haben".Eben diese von Ihnen in so leben-
digen Worten mir zuerkannte kulturelle Autorität gab mir die Berechtigung,
für die beschmutzte kulturelle Ehre der Stadt, deren Bürgermeister Sie sind, das
Wort zu führen und an Sie zu richten. Darüber, dass der schmachvolle Zu-
stand vorhanden ist, herrscht weder in Wien selbst noch im Ausland, wo man
zugleich die Langmut Wiens bestaunt, auch nur der geringste Zweifel und
Beweise sowohl für den Zustand wie für dessen Beurteilung wären in Fülle
beizubringen, nicht zuletzt solche, die auch ein schmerzliches Bedauern
dartun, dass das Uebel sich gerade unter einer sozialistischen Gemeinde-
verwaltung in Wien einbürgern konnte. Dass ich berufen war, bin und bleibe,
es in seiner ganzen Grässlichkeit und zugleich in seiner Sonderstellung
innerhalb des Uebels der kapitalistischen Presse darzustellen, dafür
spricht vor allem Ihr eigenes inIhrem so ehrenden Schreiben vom 28. April
1924 niedergelegtes Bekenntnis. Möglich ist, dass meine und etlicher
Tausende Erwartung, Sie, hochverehrter Herr, seien als Bürgermeister auch
berufen, dazu in irgendeiner Form Stellung zu nehmen und dem Adressaten
jenes Schreibens zu antworten, auf einem Irrtum beruht, auf dessen Möglich-
keit ich denn auch in meiner Abhandlung "Hinaus aus Wien mit dem Schuft!"
(Oktoberheft der Fackel) hingewiesen habe. Der Appell selbst ist Ihrer
Kenntnis im Juli zugänglich gemacht worden. Nun haben Sie, Anfang Oktober,
als jene Abhandlung bereits in Druck gegangen war, die Freundlichkeit ge-
habt, mir sagen zu lassen, dass Sie in dieser Angelegenheit eine Rück-
sprache mit mir wünschten und geneigt seien, mich bei sich zu empfangen, und
zwar an einem bestimmten Tage, an dem ich dieser freundlichen Einladung
Wien, 22. Oktober 1925
Hochverehrter Herr Bürgermeister!
Ich habe in einem Vortrag am 25. Juni, der im Juli-Heft der Fackel
gedruckt erschienen ist, einen Appell an Sie gerichtet, Sie möchten "es
nicht unter Ihrer Würde finden", die Ortsgemeinschaft eines Gezeichneten
mit einem Zeichner zu beklagen, "dessen ‚gewaltige Geistesarbeit’ Sie mit
jedem Wiener zu kennen versichert haben".Eben diese von Ihnen in so leben-
digen Worten mir zuerkannte kulturelle Autorität gab mir die Berechtigung,
für die beschmutzte kulturelle Ehre der Stadt, deren Bürgermeister Sie sind, das
Wort zu führen und an Sie zu richten. Darüber, dass der schmachvolle Zu-
stand vorhanden ist, herrscht weder in Wien selbst noch im Ausland, wo man
zugleich die Langmut Wiens bestaunt, auch nur der geringste Zweifel und
Beweise sowohl für den Zustand wie für dessen Beurteilung wären in Fülle
beizubringen, nicht zuletzt solche, die auch ein schmerzliches Bedauern
dartun, dass das Uebel sich gerade unter einer sozialistischen Gemeinde-
verwaltung in Wien einbürgern konnte. Dass ich berufen war, bin und bleibe,
es in seiner ganzen Grässlichkeit und zugleich in seiner Sonderstellung
innerhalb des Uebels der kapitalistischen Presse darzustellen, dafür
spricht vor allem Ihr eigenes inIhrem so ehrenden Schreiben vom 28. April
1924 niedergelegtes Bekenntnis. Möglich ist, dass meine und etlicher
Tausende Erwartung, Sie, hochverehrter Herr, seien als Bürgermeister auch
berufen, dazu in irgendeiner Form Stellung zu nehmen und dem Adressaten
jenes Schreibens zu antworten, auf einem Irrtum beruht, auf dessen Möglich-
keit ich denn auch in meiner Abhandlung "Hinaus aus Wien mit dem Schuft!"
(Oktoberheft der Fackel) hingewiesen habe. Der Appell selbst ist Ihrer
Kenntnis im Juli zugänglich gemacht worden. Nun haben Sie, Anfang Oktober,
als jene Abhandlung bereits in Druck gegangen war, die Freundlichkeit ge-
habt, mir sagen zu lassen, dass Sie in dieser Angelegenheit eine Rück-
sprache mit mir wünschten und geneigt seien, mich bei sich zu empfangen, und
zwar an einem bestimmten Tage, an dem ich dieser freundlichen Einladung