Liegler, Leopold: Brief an Karl Kraus. o.O., 1916.07.°°
Sehr geehrter Herr Kraus!
Beiliegend finden Sie das gewünschte Druckfehler-Verzeichnis der letzten Nummer. Ich schrieb alles auf,
was ich entdeckt habe, doch wird es vielleicht möglich sein, einiges davon zu streichen (etwa S. 28,
Z. 21 oder S 68, Z 14, S 84, Z. 12)
Die Korrekturen für die Chinesische Mauer habe ich nun auch vollendet, doch bin ich bei einer Stelle
nicht ganz sicher, wie die Korrektur beabsichtigt war: Auf Seite 320 (das Manuskriptblatt liegt
bei) soll das Hoflichkeits-Geleier eines sich verabschiedenden Raseurs wiedergegeben werden; es ist nun die
Frage fallen nicht nur die Anführungszeichen sondern auch die Beistriche zwischen den einzelnen
Phrasen weg? Der Beistrich nach „Hab' die Ehre” ist deutlich mit Bleistift durchstrichen, in
den übrigen Fällen allerdings ist er erhalten geblieben. Die Druckerei hat auch Beistriche gesetzt!
Können sie also bleiben oder würde das Fehlen der Interpunktionen noch besser
die stilistische Absicht verdeutlichen?
Dann fand ich auf Seite 138 (der Abzug liegt bei) die Stelle „beim Anblick des Colleone”.
Sie meinen ja das Reiterstandbild des Verocchio in Venedig - nun ist es allgemein gebräuchlich
den Namen dieses Condottieri Colleoni zu schreiben, im Brockhaus habe ich außerdem
noch die Schreibweise Coleone und Coglione nicht aber Colleone gefunden. Wollen Sie
daher, bitte, auf dem Korrekturabzug die Orthographie ersichtlich machen, für die Sie sich
entscheiden.
Und endlich habe ich bemerkt, daß in dem Stück „Fahrende Sänger” nicht konsequent
die Schreibung „Männergesangsverein” durchgeführt ist, an etlichen Stellen fehlt das
„s”. Da ich keine stilistische Absicht dahinter vermuten kann, frage ich, ob an allen Stellen
das s eingesetzt werden darf.
Damit wäre alles erledigt, was ich auf dem Herzen hatte;
die Korrekturen - es sind noch etliche zu machen - durch die Druckerei nachzutragen - gehen sofort, wenn ich Ihre Antwort
habe nach Leipzig. Verzeihen Sie, lieber Herr Kraus, daß ich Sie störte,
aber ich getraute mich nicht, diese immerhin heiklen Fragen aus Eigenem zu entscheiden.
Indem ich Ihnen recht glückliche Tage wünsche verbleibe ich mit herzlichen Grüßen
als Ihr ergebener