Mannheim, 8. IX. 21 / Parkring 2
Liebe alte Freundin!
Sie sind es mir noch, obwohl 1000 Jahre zwischen uns sich aufgetürmt haben.
Ich weiß nicht einmal mehr Ihre Adresse. Aber als ich dieses warme und schöne Buch
durchlas, da stiegen alle alten Erinnerungen wieder vor mir auf und wurden leben=
dig: Sie, die ich sofort so lieb gewonnen, Lino, Wolf, Grohé, [Bronth]sens. Und
dann spann sich die Kette jener Ereignisse weiter und weiter, bis sie plötzlich abriß
und alles versank im Strom des Furchtbaren was da hinter uns liegt und an dessen
Folgen wir verschmachten müssen.
Also, Sie schreiben doch noch Bücher mit Ihrem lieben warmen Herzen. Ich
gehe auf = und unter im Kampf ums Dasein. Ein Dasein, das mich längst nicht mehr
freut, von dem ich mir nichts mehr erwarte, als einen raschen Tod. Ich weiß nicht, ob
ich Ihnen mitgeteilt habe, daß mein Freund Schmitt im Frühjahr 1913 gestorben ist.
Die letzten Jahre unserer Gemeinsamkeit waren nicht mehr ungetrübt, aber er starb
doch schließlich in meinen Armen u. hat mir als letzten Liebesbeweis seine Habe
hinterlassen. Das war immerhin so viel, daß ich bei sorglicher Anlage für meine
alten Tage gesichert schien. Dann stand ich 4 Jahre lang 2 Lazaretten vor und gab
dem Vaterland alles was ich an Kräften zu geben hatte. Als sich die Tore meiner
Lazarette hinter mir schlossen, kamen die Nachwehen des Krieges, die Entwertung
aller Werte, es war garnicht mehr daran zu denken von Kapitalzinsen zu leben, und
da nahm ich eine Lehrstelle in der hiesigen Musikhochschule an und gebe jetzt
schon 34 Klavierstunden wöchentl. Außerdem schreibe ich für ein hiesiges Blatt
Musikreferate, denn das Verhältnis zur Frankfurter Zeitung hat sich so umgestaltet,
daß da pekuniär kaum mehr etwas Nennenswertes herausspringt. So ist es mir
denn doch gelungen meine Existenz einigermaßen erträglich zu gestalten, aber
das Herz ist ausgebrannt. Was kann mir das Leben noch bieten! Nicht daß ich
mich über die Tretmühle beschwere. Ganz im Gegenteil: je mehr Arbeit,
desto weniger Zeit zum denken. Nur nicht denken! Ich beneide sie alle, die
nicht mehr sind, die nicht wie wir als unglückselige Übergangsmenschen das
alte Ufer mit dem Land unserer Sehnsüchte immer mehr aus dem Auge verlieren
Liebe alte Freundin!
Sie sind es mir noch, obwohl 1000 Jahre zwischen uns sich aufgetürmt haben.
Ich weiß nicht einmal mehr Ihre Adresse. Aber als ich dieses warme und schöne Buch
durchlas, da stiegen alle alten Erinnerungen wieder vor mir auf und wurden leben=
dig: Sie, die ich sofort so lieb gewonnen, Lino, Wolf, Grohé, [Bronth]sens. Und
dann spann sich die Kette jener Ereignisse weiter und weiter, bis sie plötzlich abriß
und alles versank im Strom des Furchtbaren was da hinter uns liegt und an dessen
Folgen wir verschmachten müssen.
Also, Sie schreiben doch noch Bücher mit Ihrem lieben warmen Herzen. Ich
gehe auf = und unter im Kampf ums Dasein. Ein Dasein, das mich längst nicht mehr
freut, von dem ich mir nichts mehr erwarte, als einen raschen Tod. Ich weiß nicht, ob
ich Ihnen mitgeteilt habe, daß mein Freund Schmitt im Frühjahr 1913 gestorben ist.
Die letzten Jahre unserer Gemeinsamkeit waren nicht mehr ungetrübt, aber er starb
doch schließlich in meinen Armen u. hat mir als letzten Liebesbeweis seine Habe
hinterlassen. Das war immerhin so viel, daß ich bei sorglicher Anlage für meine
alten Tage gesichert schien. Dann stand ich 4 Jahre lang 2 Lazaretten vor und gab
dem Vaterland alles was ich an Kräften zu geben hatte. Als sich die Tore meiner
Lazarette hinter mir schlossen, kamen die Nachwehen des Krieges, die Entwertung
aller Werte, es war garnicht mehr daran zu denken von Kapitalzinsen zu leben, und
da nahm ich eine Lehrstelle in der hiesigen Musikhochschule an und gebe jetzt
schon 34 Klavierstunden wöchentl. Außerdem schreibe ich für ein hiesiges Blatt
Musikreferate, denn das Verhältnis zur Frankfurter Zeitung hat sich so umgestaltet,
daß da pekuniär kaum mehr etwas Nennenswertes herausspringt. So ist es mir
denn doch gelungen meine Existenz einigermaßen erträglich zu gestalten, aber
das Herz ist ausgebrannt. Was kann mir das Leben noch bieten! Nicht daß ich
mich über die Tretmühle beschwere. Ganz im Gegenteil: je mehr Arbeit,
desto weniger Zeit zum denken. Nur nicht denken! Ich beneide sie alle, die
nicht mehr sind, die nicht wie wir als unglückselige Übergangsmenschen das
alte Ufer mit dem Land unserer Sehnsüchte immer mehr aus dem Auge verlieren