Preradović, Paula von: Brief an Franz Karl Ginzkey. Schloß Feistritz, 26.9.1921
Da ich aber leider dem zu solcher Impulsivität allein berechtigenden Back-
fischalter entwachsen bin, erstickte ich den Gedanken alsbald durch Über-
legungen konventioneller Natur. Nun lese ich aber soeben in einem verspäte-
ten Zeitungsblatt, das sich zu mir verirrt hat, daß Sie vor Kurzem Ihren
fünfzigsten Geburtstag gefeiert haben. Und jetzt wird der Brief doch geschrie-
ben!
Ich wünsche Ihnen und Ihren Zeitgenossen Glück dazu, daß Sie
der „milde Dichter“ zu sein begnadet sind, der einer späteren, zer-
quälten Zeit nicht mehr gedeihen wird, ich wünsche Ihnen Glück,
daß Sie zur Zeit der größten Wirrnis, als es den meisten Echten versagt
war, vor Getöse und blitzschnellem Erleben das Geringste zu schaffen,
ein so ewig schönes Gedicht wie das „Gespräch mit einem Toten“ schrei-
ben konnten. Lange, lange nicht habe ich etwas so Trostvolles gelesen. Man
wird so wählerisch mit der Zeit, die leichte Begeisterung der Zwanzigjähri-
gen, wo man jeden dritten Tag das „allerherrlichste Gedicht“ aufstöberte,
geht leider flöten, aber dies „Bin ich nicht tot, bin ich nicht tot“, dies
„Der Tote sprach: O gutes Wort“, möchte ich wie Perlen um den Hals hängen,
von denen man in seinem Testament sagt, daß sie einem ins Grab mitgege-
ben werden sollen.
Im Winter nach dem Umsturz, als ich mit meinem kleinen Sohn allein
in einem dänischen Dorf wohnte, empfing ich Briefe von meinem Bruder,
der mir von Begegnungen mit Ihnen schrieb. Sie hatten ihn im Hause von