Rilke, Rainer Maria: Brief an Anni Mewes. München, 19.12.1918
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für den Geist, muss man zugeben, nicht
eben sehr großartig ist. Zunächst sind wir Alle
um das Aufathmen gekommen; beschäftigt damit,
den Frieden aufzulesen; der, aus allen Händen
fallend, in tausend Stücke zersprungen ist, haben
wir ihn nie im Ganzen gesehen und hätten doch
gerade dieses bedurft: uns seine Größe vorzu=
stellen, seine reine Größe nach der wirren
Monstrosität des Krieges. Man kann nicht an=
ders, als mit innigster Sorge feststellen, dass
hier eine Leistung an Leistung grenzt; dass Men=
schen, die eben aus der unmittelbarsten Bedräng=
nis ausgelöst worden sind, in lauter neue Be=
drängnisse geschleudert werden, und dass, indem
die Namen Krieg und Frieden gleichzeitig wegfallen,
ein unbenanntes, unbenennbares Geschehen gerade