Abel, Othenio: Brief an Franz Karl Ginzkey. Wien, 20.1.1921
erstens drückte mein Gewissen und zweitens wollte
ich vor meiner Mittwoch nach Prag-Leitmeritz
gehenden Vortragsreise alles dringende erledigen. Ich
werde dort u. a. auch über ein mich in der
letzten Zeit beschäftigendes Tema reden: "Eroberungs
züge der Wirbeltiere in die Meere der Vorzeit",
was deswegen sehr lehrreich ist, weil man sieht,
wie die P. T. Herrschaften aus vergangenen Erd-
zeitaltern es mitunter ebenso dumm angestellt
haben wie die Menschen. Man vergisst mitunter
darauf, dass alles Leben zu allen Zeiten der Erd-
geschichte den gleichen Gesetzen unterworfen
ist u. war und dass aus den Ereignissen der Vorzeit
sehr gute Lehren für die Gegenwart zu ziehen
sind – vgl. meine Ausführungen über die Folgen
des Existenzoptimums für die Degeneration beim
Höhlenbären! Nur darf man es nicht allzu laut
sagen, dass unser ganzes modernes Streben, alle
defekten Individuen möglichst alt und natür-
lich auch geschlechtsreif werden zu lassen,
systematisch zum physischen Niedergang der
Menschheit beiträgt. Sehr traurig für die Ge-
samtheit, wenn auch angenehm für das In-
dividuum. – Wären Sie hier, so könnte ich
Ihnen ein ganz verrücktes Vieh aus der Ober-
kreide Canadas im Bilde zeigen, das Tollste,
was sich die Natur vielleicht je geleistet hat
und das mich vor Aufregung eine Nacht nicht
schlafen liess! So wirken die fossilen Bestien
heute noch nach. –
Alles Liebe u. Herzliche von Haus zu Haus
Ihr aufrichtig ergebener O. Abel