Bahr, Hermann: Brief an Richard von Kralik. Salzburg, 8.5.1916
8.5.16
HERMANN BAHR
SALZBURG
SCHLOSS ARENBERG
Sehr verehrter Freund!
Was müssen Sie von mir denken, daß ich auf Ihren prachtvollen Brief,
der mir eine unbeschreibliche Freude bereitet hat, durch den mich
überwältigenden Anblick eines so großen, ganz freien, ganz Liebe,
Mitleben mit allen Geheimnissen aus Seherkraft gewordenen Glau-
bens, einen Brief, den ich nicht müde werde, von neuem immer
wieder und wieder zu lesen, und aus dem mir auch Ihre stau-
nenswerte, kaum zu begreifende Produktivität erst klar gewor-
den ist eben als die Produktivität einer ins Herz der Dinge
schauenden, die Dinge mitwissenden Intuition, daß ich auf
diesen Brief, der zu den schönsten Gedichten gehört, die ich je-
mals las, so lange nicht geantwortet habe, aus der lähmen-
den Empfindung heraus, die ich auch jetzt noch kaum über-
winden kann, daß man eine so kostbare Gabe selbst durch
den schlichtesten Dank schon entweiht, daß sie der Empfänger
nur in stummer Beglücktheit hinzunehmen und zu trachten
hat, durch die Tat ihrer würdig zu werden! So lassen Sie mich
Ihnen blos in Ergriffenheit still die Hand reichen und ein
Vergelts Gott! sagen.
Ich habe nun mit einem Priester, der mein volles Vertrauen
hat, das ganze Stück an der Hand Ihrer kritischen Bemerkun-
gen noch einmal durchgenommen, vieles abgeändert, die das
Wunder betreffende Stelle weggetan (obwol Sie in Buchbergers
Kirchenlexicon Bd II S 2766 finden können, zum Wesen des
wirklichen Wunders gehöre, daß es "auch wirklich das erreicht,
was intendiert war"), und hoffe, der Versicherung jenes Priesters