Bahr, Hermann: Brief an Richard von Kralik. Salzburg, 8.5.1916
Glauben schenken zu dürfen, daß es, so wie es jetzt da steht, von
katholischer Seite kein Bedenken zu fürchten hat. Daß ich dieses frohe
Gefühl haben kann, verdank ich vor allem der großen Mühe, die
Sie in Ihrer unendlichen Güte sich damit gegeben haben, und
dafür werde ich mich immer in Ihrer Schuld fühlen, wie ja für
so Vieles andere auch!
So weit ich von hier aus die Wirkung meines Romans be-
trachten kann, habe ich bisher folgenden Eindruck: auf Katho-
liken wirkt er gut und stark (Lammasch schrieb mir einen
enthusiastischen Brief, die Alumnen hier dürfen ihn lesen und
lesen ihn gern), indifferente Menschen beunruhigt er und sie sehen
mit Erstaunen, daß er eine ihnen völlig unbekannte Welt gibt,
die ihnen halb wider ihren Willen Bewunderung abnötigt, ja sie
fast fasziniert, aber alle gläubigen Protestanten sind empört
über ihn und empfinden ihn als eine Versündigung an Luther,
Kant und Goethe.
Ich habe vor, im Spätherbst auf ein paar Tage nach Wien zu kommen
und wäre sehr glücklich, wenn Sie mir erlaubten, Sie aufzusuchen,
eine Stunde bei Ihnen zu sitzen und Ihnen so Vieles sagen zu
dürfen, was mein Herz bewegt.
Nochmals dankt in herzlicher Verehrung u. treuer Bewunderung
Ihr aufrichtig ergebener
Hermann Bahr
Herrn Dr Richard von Kralik