Berg, Alban: Brief an Erich Kleiber. Waldhaus/Wörthersee, 8.3.1934
Alban Berg
„Waldhaus”
in Auen am
Wörthersee
Post Velden
Österreich
8.3.34 Mein Lieber, ich komme heute in einer
eigentümlichen Angelegenheit zu Dir. Und da muß
ich etwas ausholen und ausführlich werden.
Ich befinde mich nämlich in Geldschwierigkeiten
(Erschrick nicht: Kein Pumpbrief !) Das seit einem Jahr
plötzliche Versiegen aller (damals sogar vertraglich und
totsicher zu erwartenden) Einnahmen aus Deutschland (was
ja immer gut dreiviertel meines Gesamteinkommens ausmach-
te), und damit im Zusammenhang auch vieler durch auswärti-
ge Aufführungen resultierender Einnahmen (denn es ist be-
greiflich, daß die ins Ausland aus Tournées gehenden deu-
tschen Dirigenten, Sänger, Virtuosen etz. auch dort ver-
meiden, „atonale” Musik aufzuführen), schließlich das ganz
schmähliche Versagen der Wiener Staatsoper (ein Kapitel
für sich, wie überhaupt das ganze Musikleben Wiens !),..
alle diese Umstände, an denen mich bei Gott keine Schuld
trifft, haben es mit sich gebracht, daß ich seit einem
Jahr - fast ohne Einkommen bin, und es in dieser Saison
(33/34) auch bleiben werde.
Die U.E. hilft mir natürlich so gut sie kann; aber, abge-
sehen davon, daß ich mit dem, was sie mir monatlich vor-
streckt nicht auskommen konnte und kann, steigert das nur
meine Schuld bei ihr zu einer solchen Höhe, daß ich, bzw.
Lulu,(die bekanntlich „von der Liebe nicht leben kann, da
ihr Leben die Liebe ist”) daß also ich, dem es mit der Musik ähnlich
geht wie ihr mit der Liebe, lange, lange an der Abtragung
dieser Schuld werde leiden müssen.
Ich war also gezwungen - schon um in Ruhe diese Oper fer-
tig zu bringen - anderweitig Geld zu beschaffen, und da
verhalf mir der in Amerika weilende Arnold Schoenberg
zu einem Angebot seitens der amerikanischen National-
Bibliothek in Washington, welches ich soeben erhalte, und
beantworten muß.
Diese "Library of Congress" will das Manuscript der
„Wozzeck”=Partitur käuflich erwerben, und bietet mir
1000 (eintausend) Dollar dafür.
Meine Bitte an Dich, lieb er Freund, geht nun dahin, daß
Du mir möglichst bald mitteilen mögest, wo sich diese 3
Bände derzeit befinden, und ob ich, in dem Moment wo es
zu dem Verkauf kommt, sofort über sie disponieren kann,
und ob dies in Form eines offiziellen Briefes an die Ge-
neralintendanz, oder an die Direktion der Staatsoper, oder
an Dich geschehen soll !