Bauer, Leopold: Brief an Adalbert Franz Seligmann. Wien, 8.5.1916
Bisher ist es mir zwar stets gelungen, beim Baukomitee und bei
den maaßgebenden Persönlichkeiten der Bank der guten Idee zum
Siege zu verhelfen und es wurden mir bereitwilligst Mittel zur
Verfügung gestellt, damit die Bildhauer ihre Aufgaben in künst-
lerischem Sinne lösen können. Aber den Rechnungsbeamten ist na-
türlich eine Ueberschreitung des Kostenvoranschlages, ein Nicht-
einhalten der Termine und andere Unregelmäßigkeiten ein arger
Gräuel, sie haben Schwierigkeiten mit der Verrechnung und sind daher die geborenen
Feinde der Künstler.
Ich benötige nun eine Stärkung meiner künstleri-
schen Ansichten, damit nicht meine guten Absichten durch das
kleinliche ziffernmäßige Bedenken, das bei Bankmenschen leider
nur zu leicht Verständnis findet, behindert werden. Ich wäre Ih-
nen daher sehr verbunden, wenn Sie einmal unsere Arbeiten be-
sichtigen möchten und für den Fall, dass Sie diesem künstleri-
schen Vorhaben zustimmen, in geeigneter Form in der Presse in
einem Feuilleton oder dgl. darüber berichten.
Soweit ich Ihre kunstkritischen Aufsätze kenne,
würde die ganze Angelegenheit gewiss Ihr Interesse erregen;
ich für meine Person möchte, soweit es möglich ist, bei einer
solchen Besprechung in den Hintergrund treten, nur die guten
Absichten, der wahren Bildhauerkunst durch meinen Bau zu nützen,
sollen durch Ihr in der Oeffentlichkeit so viel wiegendes Ur-
teil gefördert werden. Wenn die Oeffentlichkeit einmal Interes-
se an diesen Bestrebungen hat, dann wird es mir umso leichter
sein, beim Baukomitee die entsprechenden Summen für die künst-
lerischen Arbeiten zu erwirken.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner besonderen Verehrung
Leopold Bauer