Decsey, Ernst: Brief an Adele Strauß. Graz, 22.6.1920
Dr. Ernst Decsey
Graz, Normalschulgasse 1
Graz, 22. Juni 20
Verehrte gnädige Frau !
Dass Sie mitten in der Sommer- Demolirung noch Zeit für
mich und meine Angelegenheiten finden, zeugt von Jhrer
Herzensg"ute. Was nun das Tagbl. betrifft, so wundert
es mich,damals lauter Abreder getroffen zu haben, heute,
post festum, lauter Zureder. Damals entsetzen sich Alle :
wie, nur 3000 Kronen, das ist eine Geringschätzung,die
Sie sich nicht gefallen lassen sollen... ! Und selbst
Korng. malte mir die Anstrengungen des Einarbeitens in
den schwärzesten Farben.
Jch sage nun kurz : wenn sich der abgerissene Draht
durch Jemanden wieder flicken liesse - ich wäre zu Tod
froh. Denn länger hier bleiben, heisst zu Grund gehen,
an Luftmangel und geistigem Nahrungsmangel und - - nun
ich will nicht bitter werden. Jmmer deutlicher habe ich
das Gefühl des Ersticktwerdens bei lebendigem Leib. So
hänge ich an Graz ... Jch verstehe nicht, wieso Sie das
Gegentheil vermuten. Vielleicht können Sie also mit S.
oder Jemandem annern darüber verhandeln. Wenn Sie
Erfolg haben, sind Sie die Segnerin meines Lebens (doch
will ich nicht pathetisch werden )