Divéky, József: Brief an Arthur Roessler. o.O., 27.12.1914
27/XII 1914.
Lieber Freund !
Erst jetzt komme ich dazu Ihren lieben Brief zu beantworten. Um
darauf zu antworten, mußten wir erst wieder etwas zur Ruhe kommen.
So was kann man nicht "erledigen", postwendend. Was Sie mir da
von den Aussichten unserer "Bekanntschaft" schreiben, war mir
Sie könnens ruhig glauben, mehr als erfeulich. Wenn man über-
haupt mit so schwächlichen Ausdrücken über so was schreiben
könnte. Ihr kleiner [Hatni] mag ruhig lachen, ich lache mit;
unsere Freundschaft wird sicher fruchtbringend sein, wenigstens
für mich. Es würde mich mehr als freuen, wenn ich dabei nicht
ausschließlich der nehmende Teil sein müßte. Was ich bisher
(vom rein egoistischen Standpunkt gesprochen) von Ihnen profitierte,
merkte ich erst als ich in Brüssel doch länger mit Ihnen plau-
dern konnte als jemals früher. Und ganz besonders, ganz
unpersönlich freute mich Ihre in diesem Briefe ausgesprochene
Anerkennung und das Versprechen mir in Zukunft mit
Ihrem Rat zur Seite zu stehen. Denn ohne fremde Aner-
kennung kann man sicher Gutes schaffen, aber ohne freund-
schaftlichen Rat weiterkommen ist schwer, wenn man nicht
den Umweg über viele Sackgassen nehmen will. Ich hatte
und habe ja meine Frau, deren Urteil mir sehr wertvoll
ist. Sie kennt mich, meine Gedankengänge und geht
drauf ein, wie ichs mir von einer Frau erwartete. Und
trotzdem ging mir immer ein Freund ab; denn mehr noch
als eine Frau eine Freundin benötigt, braucht der Mann ei-
nen Gesinnungsgenossen, mit dem er im Geiste "durch Tiefen
und über Höhen" gehen kann. Und ich bin überzeugt, dass da-
durch meine Frau nicht an Anwert verlieren sondern gerade