Brecher, Gustav: Brief an Ernst Krenek. o.O., 20.12.1931
liebenswürdigen Weltlauf wünsche, so bewege
ich mich nicht in sinnlosen Utopieen, und
kann Ihnen doch ein „schönes Leben” ge-
wünscht haben.
Mir bleibt zu Musik selbst immer
weniger an Zeit und Gedanken; Sitzungen,
Besprechungen, Gutachten, Denkschriften,
Kampf gegen unterirdische teils, teils auch
gegen sichtbare Wühlereien füllen neben dem
natürllich auch immer dichter werdenden Drum
und Dran heutigen Theaterbetriebs das tägliche
Leben bis zum Rand, und ein Monat scheint
wie ein Tag. Jetzt kommt noch die „Fusion
mit Halle” dazu; - wir sollen mit der Oper
Halle mitbespielen, wie der bezeichnende
Ausdruck lautet; die Sache bedindet sich noch
im Anfangstadium und da wir noch immer
keinen Intendanten haben sondern einen
zehnköpfigen, nämlich den Theater-Ausschuß
der über Großes wie alles Einzelne beschließt,
so können Sie sich meine Rolle dabei und
meine Beanspruchung durch deprimierenden
Leerlauf vorstellen. Wenigstens ist die Oper hier
als solche völlig gesichert, steht sogar, wie ein offi=
zielles auswärtiges Gutachten bezeugt relativ
gesund da, sodaß ich mein Ensemble für 32/33
im Wesentlichen unverändert behalten kann.
Hoffentlich kann ich ihm trotz Halle einige
künstlerische Würde und Arbeitsmuße retten -
ich versuche es wenigstens mittels einiger neu
[seitlich links:]
hinzu kommender Operettenkräfte, die mir die Oper als solche einiger-
maßen sauber und vom wildesten Robott freihalten sollen. Solche
Negativa sind heute das Einzige, was man in solcher Stellung an „Schönem”
oder Fortscheitendem sich vernünftiger Weise noch wünschen
[kopfüber am oberen Rand:]
kann - allenfalls noch: wieder einmal eine interessan-
te neue Interpretations-Aufgabe, besonders von E.
K !, nebst Angrenzendem.
Herzlichst der Ihre
Brecher.