Boettcher, Hans: Brief an Ernst Krenek. Berlin, 21.10.1930
MUSIK UND GESELLSCHAFT
ARBEITSBLÄTTER FÜR SOZIALE
MUSIKPFLEGE UND MUSIKPOLITIK
SCHRIFTLEITER: DR. HANS BOETTCHER
BERLIN-
-Wilmersdorf,Tübingerstr. 4a.
B/H.
BERLIN-NEUKÖLLN
DEN 21. Okt. 1930.
Herrn
Komponist Ernst Křenek,
Wien. 13.
Eitelbergergasse 13.
Sehr verehrter Herr Krenek!
Verbindlich danke ich Ihnen für Ihre soeben erhaltene freundliche
Einschreibesendung. Wir begrüssen Ihre Umformulierungen,die wir ledig-
lich im Interesse der Vermeidung von persönlichen Zuspitzungen bezw.
diesbezüglicher Interpretationen erbaten.
Wegen weniger Punkte möchte ich mir noch erlauben,Ihnen einige Umfor-
mulierungen vorzuschlagen,die gleichfalls das Sachliche Ihres Standpunk-
tes in keiner Weise tangieren.
1. Im Absatz 1 steht der Satz:
" Der Geist kann sich in jeder Form manifestieren,und es be-
weist nur einen Mangel an schöpferischer Substanz,wenn ......"
Ich möchte Sie bitten,in diesem Satz statt "schöpferischer Substanz" et-
wa "schöpferischer Unmittelbarkeit" zu setzen oder den Satz so zu verallge-
meinern,dass der Ausdruck "Mangel an schöpferischer Substanz" nicht auf
die Persönlichkeit des Dichters Brecht bezogen werden kann.Ich nehme an,
dass Sie dagegen nichts einzuwenden haben,weil ja in Ihrer Darstellung
selbst verschiedentlich die dichterische Potenz Brechts als solche aner-
kannt ist und Ihnen - wie ich glaube- einzig an einer Kritik der Gesamt-
einstellung seiner Oper"Mahagonny"gelegen ist,nicht seines doch allgemein
anerkannten künstlerischen Könnens.
GEORG KALLMEYER VERLAG, WOLFENBÜTTEL ꞏ B. SCHOTT'S SÖHNE, MAINZ
(Geschäftsstelle: Wolfenbüttel, Gr. Zimmerhof 20)