Feuchtwang, David: Brief an Margarete Jodl. o.O., 14.12.1920
14.12.20
Hochverehrte Frau Professor;
Nun habe ich Ihr Buch beendet. Das war ein Fest für Herz, Seele und Verstand!
Zu wenig und gering erschiene mir ein Glückwunsch für die edle Verfasserin dieses
Denkmals, des prächtigsten, das dem herrlichen Manne gesetzt werden
konnte. Doch nicht nur ein köstliches Menschen- und Gelehrtenleben, die
Schilderung eines Gedankenschöpfers und Wahrheitsuchers nicht allein -
sondern ein Stück bewegter Kulturgeschichte geht hier am Auge des
Lesers vorüber, umrankt von den lieblichsten Gewinden treuer Liebe
und umweht von der laeuternden und gelaeuterten Luft der Schönheit,
Güte und Tugend. Die aufsteigende, wachsende Kraft und Staerke
des Kaempfers für Erkenntnis und Versittlichung und Beglückung
der Menschen ist geradezu dramatisch dargestellt und hebt sich
in wundervollem Relief aus dem manchmal recht dunkel gefaerbten
Hintergrunde erbaermlicher Machenschaft und wissenschaftlichen wie
politischen Obskurantentums heraus. Dass ich das Hauptwerk Jodl's
„Geschichte der Ethik” kenne, ist selbstverstaendlich; Die Zusammen-
fassung vieler Vortraege und Arbeiten im Buche „Vom Lebenswege” kenne
ich nicht. Darf ich darum bitten? - Mancher in Ihrem Buche
vorkommende Name hat mich an die Studienzeit meines Vaters
erinnert. Ist doch Bayern meiner Eltern geliebte Heimat gewesen;
München und Würzburg, zuletzt Göttingen meines Vaters Studien=
ort; - Würzburg zumal ist auch mir Lieblingsstadt geworden.
Ich besitze ein Studienzeugnis, das der von Ihnen oft ge=
nannte Lutz meinem Vater geschrieben hat u. habe ein