Friedländer, Alice: Brief an Elise und Helene Richter. 1.1.1919
Berlin, 1. Jan. 1919 .
Meine Lieben, ich wollte Euch längst schreiben, aber die letzte
Zeit war so schrecklich, dass ich es nicht konnte. Es kamen
noch verschiedene Berichte aus dem Feld, darunter einer, der
ebenso töricht als schrecklich war, von einem Offizier der Truppe,
die am nächsten Tage das Regiment ablöste. Er hatte seine Kenntniss
über den Vorgang aus dritter od. vierter Hand, leitete dann die
Versuche zur Bergung der Leichen und ersparte uns keine Einzel-
heit. Ich war darnach ganz niedergebrochen. Zum Glück kam bald
darnach der Mann, auf den ich am sehnlichsten gewartet hatte,
ein Sergeant der als Hilfsbeobachter mit Hold bis kurz
vor der Katastrophe beisammen war. Er versicherte, dass
der geliebte Junge mit den Andern sehr vergnügt war, nicht
an Gefahr dachte, sondern sich in dem Unterstand ganz
sicher fühlte. Sie freuten sich Alle, in 1 - 2 Stunden ! ins Ruhe-
quartier abrücken zu können, denn die Division war an
dem Tage schon herausgezogen u. die Offiziere warteten
hinten. Um 4 1/2 Uhr duchschlug ein Volltreffer die Wand
des Unterstandes und tötete wohl schon durch das dabei
entstehende giftige Gas Alle, die in dem Raum waren. Der
Mann, der zufällig mit 3 Andern draussen war u. bald
herzu kam, fand keinen mehr am Leben. 15 Mann ! Ver-
schiedene konnten mit vieler Mühe geborgen werden, unser
armer Hold aber und mehrere Kameraden lagen unter
so schweren Betontrümmern begraben, dass es nicht gelang,
ihn zu bestatten. Man konnte ja nur bei Dunkelheit dort