Friedländer, Alice: Brief an Elise Richter. o.O., 25.2.1919
25. Februar, 1919.
Liebe Elise, ich schreibe schon heute, da man ja nie weiss,
wie lange Briefe gehen und Du meine Glückwünsche doch
möglichst pünktlich bekommen sollst. — Glück! Giebt es das
überhaupt noch? Und sind Glückwünsche mehr als eine
Phrase? Denn es hat doch nur Sinn, etwas zu wünschen,
was im Bereich der Möglichkeit liegt. Ich glaube, es ist besser,
ich wünsche Dir nur Gesundheit und Freude an der Arbeit.
Das ist ja auch schon recht viel. — Deine politische Tätig-
keit hat mich sehr interessirt. Wenn Frauen wie Ihr Sitz u.
Stimme haben, so ist das natürlich eine grosse Berei-
cherung des politischen Lebens. Dass aber halbe Back-
fische (denn das sind Viele mit 20 Jahren noch) ungebildete
Dienstmädchen u. Arbeiterinnen, die kein eigenes Urteil
haben können, mitwählen, halte ich für ein grosses Unglück.
Dieser Fehler wird sich schwer rächen.
Von mir kann ich Euch nicht viel Erfreuliches erzählen.
Ein Schmerz wie der meine wird ja mit der Zeit nicht besser
sondern schlimmer, denn nun erwacht noch die brennen-
de Sehnsucht und das Vergangene wird immer lebendige[r]
und plastischer und lässt sich doch nicht fassen. Wenn dann
tagelang die Verzweiflung getobt hat, kommt plötzlich
eine Stumpfheit über mich, in der ich das Geschehene über-
haupt nicht begreife und glaube. Das ist wahrscheinlich ein
automatischer Akt des Selbsterhaltungstriebes. Wie lange ich
[links:]
Helene schreibe ich nächstens, einstweilen danke ich ihr vielmals für ihre lieben Briefe.
Habt Ihr die Eltern wieder gesehen? Ich habe grosse Angst vor Mama. -