Friedell, Egon: Brief an Emil Geyer. Berlin, 17.9.1928
diese Interessen aber aneinander gemessen werden, so kann es wohl
auch für Sie keinen Zweifel geben, dass die Interessen, die Sie
vertreten, (irgend eine Episode in "Der lebende Leichnam" oder in
Artisten") gegenüber meinen Interessen eine Winzigkeit bedeuten,
denn ich habe Ihnen im vorigen Briefe bereits aufgezählt, welche
Dinge erheblich künstlerisch und literarischen Charakters meine An-
wesenheit hier in Berlin zur Notwendigkeit machen. Lieber Dr. Geyer,
ich kann das Gefühl nicht zurückdrängen, dass Ihr Widerstand gegen
meine Wünsche und Pläne,in einem gewissen Grade wenigstens, durch
den Verdacht hervorgerufen wird, ich könnte vielleicht meine Tätigkeit
bei Barnowsky der Tätigkeit im Josefstädter Theater vorziehen. Davon
kann keine Rede sein und ich brauche hier wohl nicht ausführlich
hervorzuheben, wie lockend es stets war und wie lockend auch in Zu-
kunft es stets wäre,unter Ihrer Leitung und Max Reinhardts Regie zu
arbeiten. Es muss doch nun aber einmal ausgesprochen werden, dass ich
schliesslich nur im Nebenamte Schauspieler bin und dass ich meiner
literarisch wissenschaftlichen Tätigkeit eine höhere Verantwortung
schulde. Sie könnten dagegen einwenden, Vertrag ist Vertrag, wogegen
ich wiederum einzuwenden hätte, dass wenn wir die Regelung der schwe-
benden Frage nur von den Vertragsbestimmungen abhängig machen wollten,
niemand zu seinem Recht käme, denn bis zum 8. Oktober, dem Tage an dem
ich unter allen Umständen frei bin, wären Sie nicht in der Lage,mich
nutzbringend zu verwenden. Also, lieber Doktor, die ganze Gegensätz-
lichkeit gipfelt in der Frage: Wollen Sie in Würdigung meiner, wie Sie
zugeben werden, sicherlich nicht kleinlichen Motive darauf verzichten,
dass ich noch zwischen dem 1. und 8. Oktober meine Tätigkeit an Ihrer
Bühne ausübe oder soll ich mich direkt mit dem Professor in Verbin-
dung setzen, der, daran ist gar nicht zu zweifeln, sich meinen so