Hartlieb, Wladimir von: Brief an Marie Eugenie delle Grazie. Bad Ischl, 20.8.1924
Ischl 20. VIII. 1924.
Hochverehrte gnädige Frau.
Mein Freund Kurt v. Redlich, den ich vor einiger
Zeit in Gastein traf, teilte mir, als wir, wie so oft, wieder
einmal von Ihnen sprachen, mit, daß auf den 31. August
dieses Jahres Ihr 60. Geburtstag falle. Nun entnehme ich den
Zeitungen, daß Sie diesen bedeutungsvollen Tag kürzlich
schon gefeiert haben; meine eiligst gestellte Nachfrage nach
Ihrer Adresse hat erst heute Antwort gefunden; ich bitte
Sie, hochverehrte gnädige Frau, es nur diesem Umstand zu-
zuschreiben, daß ich mich aus dem schönen, feierlichen An-
laß erst heute melde.
Ich muß diesen Geburtstag benutzen, um Ihnen die
ganze tiefe Verehrung und Dankbarkeit auszudrücken, die
ich von dem Tag an unveränderlich gegen Sie empfand,
da ich das Glück hatte, in den Kreis der Ihnen persön-
lich verbundenen Gemeinde einzutreten. Ihr gewaltiges
Lebenswerk, das jedem reinen, hochstrebenden Geist Bei-
spiel und Vorbild sein muß, hat seinen unerschütterlichen
Platz in der großen deutschen Literatur; mir ziemt es nur,
dem Genius, der es geschaffen, ein Wort tiefer, demütiger
Bewunderung zu sagen. Erst spätere, weisere Generationen