Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 12.11.1916 - 16.11.1916
„Menschenverachtung“, „Elend“ u. dgl.
gar nicht aufschlagen, so ließe ich Sie
alle andern, nicht schwarzen Bücher
gerne durchblättern u. lesen, so=
viel Sie wollen; auch ein ganz
neues - schneeweißes Büchlein,
mit einem einfachen goldenen
L bezeichnet. Auch in diesem wür=
den Sie übrigens vieles lesen
können, was Sie aus meinem
Munde nie hören werden. Aber
Sie würden es, denke ich, wohl
gar nicht aufschlagen oder es gar
bald wieder zuklappen.
Diese Tage habe ich alle Ihre Briefe durchge=
lesen u. mich der Schätze gefreut, die Sie
mit königlicher Großherzigkeit dem Ein=
samen gespendet. Da u. dort kam es mir
erschauernd über die Lippen: „Gib nicht so
viel! Weißt du, was du gibst?“ Und unend=
liche Wehmut erfüllte mein Herz zum drit=
tenmal, als ich in diesem letzten Briefe
zum drittenmale wieder die Worte
las: „viele, viele Jahre!“ Können Sie
denn glauben - ? Sie, in der Blüte der
Jahre, blicken voll Zuversicht hinüber
u. kennen keine Angst vor dem Über=
gang in ein anderes sonniges Reich,
u. wundern sich, daß ich viel viel lie=
ber Ihre Freundschaft hinüber mitneh=
men möchte, als hier das Ende dieser
himmelgesandten Freundschaft zu er=
leben? Ach, es gibt doch noch Dinge, über
die ich auch mit Ihnen nicht sprechen kann.
Sind die Bilder in Ihrem heiligen Hain
stumm? Oder zwitschern Ihnen die Vöglein,
rauschen Ihnen die Blätter der mächtigen
Bäume zu, was in den Herzen der Begnade=
ten webt u. bebt? In tr. Fr. u. unbegr. V. Ihr A.Haus