Jastrow, Ignaz: Brief an Heinrich Friedjung. Berlin, 10.12.1914
[Stempel:] Prof. Dr. Jastrow
Charlottenburg Berlin
Nußbaumallee 24
Den 10. Dezember 1914.
Sehr geehrter Herr Professor Friedjung!
Als Sie im September d. Js. gelegentlich einer Antwort
auf einen Brief von mir in einem Punkte eine abwei=
chende Meinung äußerten, habe ich die Versuchung zu einer
Replik unterdrückt, weil ich nicht den Anschein erwecken wollte,
meinem Aussprachebedürfnis zuliebe mit Ihrer Zeit leicht=
fertig umzugehen. Aber wenn ich heute, nachdem ein
paar Monate dazwischen liegen, darauf zurückkomme, so ist
der Verdacht der Leichtfertigkeit wohl ausgeschlossen, und ich hoffe,
Sie werden mir glauben, daß hier ein in der Sache begründetes
objektives Bedürfnis nach Aussprache vorliegt. Da über die
zukünftigen Friedensbedingungen in den Zeitungen fast
nichts geschrieben wird, so tappt man hier wenigstens im
Dunkeln, und es ist ernstlich begründete Gefahr vorhanden,
daß im einscheidenden Moment aus Mangel an Vorbereitung
dem Zufall eine verhängnisvolle Rolle eingeräumt
wird, wenn nicht endlich irgendwo mit einer Durchdenkung
der verschiedenen Möglichkeiten ein Anfang gemacht wird.
Zur Zeit unseres Briefwechsels hatte Delbrück
seinen Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern veröffentlicht,
in dem er sagt, gegenüber Frankreich und Rußland hätten
wir ja nur defensive Interessen; man könne also in
einem zukünftigen Frieden seine ganze Kraft auf