Bartsch, Rudolf Hans: Brief an Franz Karl Ginzkey. Wien, 6.6.1923
Diese Sorge lege ich in deine verschwiegene Seele , weil es gut
ist , wenn wir wissen , was uns als neue Prüfung droht und weil wir bereit
sein müssen , das Üble soweit zum Guten zu lenken , als es überhaupt noch
geht . Denk nach , lieber Alter ; vielleicht fällt dir ein guter Ausweg ein
falls es soweit käme : Alfred wird bestimmt nichts ohne unsern Rat tun !
Hier in Wien vermisse ich dich schwer , sehr schwer . Wir haben
die reizendsten Akademieaufführungen , die einen manchmal alle Sorgen ver=
gessen machen könnten und bei denen du ein sehr lieber und von Marx gerne
gesehener Gast wärest . Sodann wartet Scherer schon längst mit einem Sieve
ringer Heurigenabend auf dich . Ich bleibe noch etwa eine Woche hier , gehe
dann bis 2. Juli nach Sankt Peter und bin dann in Seewalchen : aber es wäre
zu schön , wenn wir uns schon jetzt sähen !
Die längst entwöhnte Armut , die mich täglich einem Dutzend Wünschen
entsagen lässt , deren Stillung mir vor kurzem noch selbstverständlich
schien , ist mir merkwürdigerweise immer noch so lieb und willkommen, wie
in der ersten Frische , da sie zu mir kam .Mir selber heißt arm sein beinahe
soviel, wie jung sein und dieses merkwürdige Gefühl der wiederkehrenden Stu=
dentenzeit und des Wiederanfangens hat etwas beseligendes , mindestens be=
seelendes . Das alles kommt meiner "Saligen" zugute , an der ich mit unge
wohnt langsamer Zärtlichkeit arbeite ; ich möchte das Buch gar nicht aus
Händen geben , weil ich immer noch zu verfeinern , zuzufügen und zu berei=
chern weiß . Müßte ich nicht die journalistische Lohnarbeit machen , ich
wäre mit meinen Fünfzig glücklicher , als mit fünfundzwanzig . Ebenso neu
und befreiend wird mir meine Armut auch damit , daß sie mich viel bei meiner Fa=
milie leben lässt , weil es billiger kommt als getrennte Wirtschaft und
Gretel von mir aus der Ferne von je mehr und schöner geliebt wurde , als in
der Alltagsnähe . Was natürlich keine Frau kapiert . . .
Für einen Brief sind das der Sorgen , Neuigkeiten und Gedanken genug , da du
doch deinen eigenen Kopf übervoll damit haben wirst . Bleib mir nur gesund,
willenskräftig und so stark , wie ich dich zuletzt , zu meiner unsäglichen
Freude , gesehen habe ! Tausend Grüße deines dir herzlich zugetanen
Rudolf Hans