Kienzl, Wilhelm: Brief an Nina Kienzl. Linz, 7.1.1915
und abgemagert, geistig aber
unverändert frisch, nur ein wenig
ernster als sonst. Eine der wert-
vollsten Erinnerungen meines Lebens
wird es bleiben, dass ich ihm am
Tage nach dem sehr gelungenen u.
harmonisch verbrachten „heiligen Abend“
meine neue Operndichtung vorgelesen
habe u. dass er davon ganz entzückt
war. Er, der sonst so scharfe Kriti-
ker u. Nörgler, war so befriedigt, dass
er die seinem Naturell, Geschmacke u.
seiner Lebensanschauung ganz zusa-
gende Dichtung direkt als „Shakespear'sch“
bezeichnete. Tags darauf fieberte
Papa bereits am Abend; sein Befinden
(seit September war er nicht ausgegangen!)
besserte sich aber wieder in sehr be-
ruhigender Weise u. das nahe bevorstehende
Ende konnte Niemand voraussehen,